Stockeloquentes Gestammel
Am Anfang hört man in diesem Fernseh-Interview noch konventionelle Politiker-Sprache. Es geht um das Attentat in Solingen.
„Zunächst mal ne schlimme tragödie desweng trauern wir mit den Opfern und beten mit denen die ehm noch auf dem hoffentlichen Weg der Genesung sind und hoffen dass es für die gut ausgeht für die menschen die jetzt so betroffen sind […]“
Man kann diese Eröffnung als vielleicht nicht gerade Trauerfeier-taugliches, aber doch noch irgendwie geordnetes Sprechen verstehen. Dann aber beginnt diese sprachliche Ordnung zu entgleisen.
„[…] ehm es braucht jetzt schon konsequenzen nach dieser tat also eh betroffenheit ist das eine aber `s braucht konsequenzen is ja nicht die erste tat die passiert ist eine reihe von solchen taten desweng glaub ich muss […]“
Und es folgen eine halbe Stunde lang immer wieder weitere solche, – „Sätze“ mag man gar nicht sagen:
„[…] wemma ehrlich seit zwei jahren diskutieren wir mit der bundesregierung auch die länder die auch schon logistisch überfordert sind eh eh mit der mit der aufnahme […]“
„[…] klares bekenntnis nicht nur sagen wir wollen sondern wir machen desweng so schnell wie möglich gesetze zu ändern eh wie g`sagt nach syrien afghanistan abschieben […]“
„[…] zumal frau dröge war das glaub ich die fraktionsfrau dröge die grünen ham beim wahlrecht mit aller gewalt daran gearbeitet grad die grünen warn das besonders die CSU zu killen rauszubringen ist vom verfassungsgericht übrigens genauso wie bei der klimasache beim haushalt vom verfassungsgericht ne ziemlich deutliche klatsche bekommen […]“
„[…] wenn ich des sage diese dieser grüne eh dieses grüne Bayern-Bashing so nenn ichs emal bayern praktisch keine zuschüsse zu gem alles in den norden und westen no way […“]
„[…] und des is sozang die letzte patrone der eh der grünen und also es hilft auch wisnse schaun sie ich glaube schon dass dass er seine kompetenzen und fähigkeiten hat en guter erzähler und und […]“
„[…] so nett die ticket-idee war sie führt dazu dass wir in millionen und abermillionen ich glaub sogar milliarden am ende die ticket-idee bringen […]“
„[…] ja, ich ich wisnse ich hab ich hab zum beispiel ´s thema maut immer gsagt dass da viele fehler passiert sind da hab ich kein problem hab kein problem zu sang wenn fehler ist ohm dass man ihn ansprichst ich hab nur drauf hingewiesen ghabt dass es jeweils steigerungen gab[…]“
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man es für Reality-TieWie halten. Jenes Format, bei dem die Zuschauer:innen sich des eigenen Niveaus versichern können, indem sie sich schenkelklopfend über die Niveaulosigkeit der anderen amüsieren, derer, die dort wie Zirkus-Exoten vorgeführt werden. Die Dame mit Unterleib.
Doch hier wird in einem seriösen TV-Sender, im ARD, ausführlich ein hochrangiger Politiker interviewt. Markus Söder.
Sein Reden ist in großen Teilen offensichtlich nicht ein Sprechen, das komplexe Zusammenhänge versucht, in einer sprachlichen Ordnung abzubilden, die dieser Komplexität irgendwie gerecht zu werden vermöchte. Es ist eher ein hektisches Rühren in einem dicksuppigen Wortbrei, damit sich Bedeutungsblasen bilden, die beim Rühren platzen und leicht aufnehmbare Bedeutungs-Gerüche freisetzen, die auf direktem quasi olfaktorischem Weg die passenden Areale im Gehirn ansteuern und dort ein Gefühl von Heilung verbreiten. Heilung vom Schmerz über die Kompliziertheit der Welt und ihrer Krisen.
Nun haben wir es hier nicht mit einem bildungsfernen Jugendlichen zu tun, der mit reduzierter Sprache klarkommen muss. Wir haben es zu tun mit einem hochrangigen, erfolgreichen und erfahrenen Politiker, der so viel Einfluss hat und so viel Ansehen genießt, dass er sogar als möglicher Kanzler gehandelt wurde. Bei der Beurteilung von Politiker:innen nach Sympathie und Leistung im Politbarometer im ZDF lag er Ende Dezember 2024 hinter Boris Pistorius und Hendrik Wüst auf Platz 3.
Man kann somit nicht davon ausgehen, dass Markus Söder für eine seriöse öffentliche Sprache nicht die Fähigkeiten hat. Man muss vielmehr davon ausgehen, dass er dieses sein Sprechen für geeignet hält, seine politische Agenda einem großen Publikum zu vermitteln,
Wenn das so wäre, hieße das: Hier hat sich ein Politiker verabschiedet von der Idee, dass politisches Handeln und die Kommunikation darüber gegenüber und mit den Wähler:innen mit einer konventionellen Vorstellung von Vernunft und von einer diese Vernunft abbildenden Sprache einhergehen sollte. Und damit auch von der Idee, man bräuchte eine dazu geeignete komplexe Sprache.
Wie lange mag es noch dauern, bis ein solcher Politiker tatsächlich der mächtigste Mann in unserem Land werden kann, wie es in den USA geschehen ist? Ist es schon so weit, dass sich jemand, der mit Worten ringt, der Bedeutungen abwägt, der auf der Basis von Recherchen geklärt hat, ob das, was sie oder er sagt und schreibt, auch bei genauerer Überprüfung noch gegenüber der Vernunft standhält, dass also so jemand sich schon allein durch die sprachliche Erkennbarkeit dieses Bemühens verdächtig macht, zu einem abgehobenen und deshalb abzulehnenden Establishment zu gehören, das die Menschen nur täuschen will? Donald Trump gehört unbezweifelbar zum Establishment. Aber er kann es offenbar vertuschen. Mit seiner Sprache. Ist das die Agenda von Herrn Söder in diesem Interview? Seine Sprache ist kein Erklären, kein Entwickeln, kein strukturiertes Darlegen, es ist in großen Teilen eben „nur“ ein stockeloquentes Gestammel.
Aber gut. Vielleicht ist es auch ganz einfach. Nicht des erstaunten Nachdenkens wert. Vielleicht war er einfach nur bekifft. Geht ja jetzt. Auch in der Öffentlichkeit.
VideoZusammenschnitt der zitierten Interview-Stellen
Das komplette Interview findet sich noch bis zum 25.08.2026, 17:59, hier:
[Die/der geneigte Zuschauer:in möge sich nicht davon irritieren lassen, dass Herr Söder auf dem Einstiegsbild keinen Bart hat und mutmaßen, dass das Interview älter ist. Im Interview selbst hat er ihn.]