13. Oktober 2018
(Taureana)
Bocchettone di riempimento. Heißt: Einfüllstützen.
Ich hätte mir bessere Umstände gewünscht, unter denen ich diese und ähnliche Vokabeln lerne.
Wir gehören nicht zu den Menschen, die ab und zu sagen, dass es keine Zufälle gebe. Weil wir davon überzeugt sind, dass das Quatsch ist. Heute gerät diese Überzeugung ins Wanken.
Wie üblich kontrolliere ich am frühen Morgen vor der Fahrt den Ölstand. Er ist minimal gesunken. Wir haben ein langes Stück vor uns. Also beschließe ich, ein wenig Öl nachzufüllen. Heißt: Die Ölflasche aus der tiefen Backskiste im Cockpit angeln. Den Trichter für’s Einfüllen aus einer noch tieferen Stelle in der Backskiste angeln. Küchenpapier bereitlegen, weil ich noch nie geschafft habe, die Prozedur ohne Tropfen und ohne Flecken hinzukriegen.
Ich schiebe energisch meine Ungeduld beiseite und gestalte die Vorbereitungen heute mit besonderer Sorgfalt. Sogar eine Stirnlampe hole ich mir, weil man das Fließen des Öls selber in der Enge im Motorraum kaum sehen kann.
Ich lege etwas Küchenpapier ins Waschbecken. Darauf lege ich vorsichtig den schwarzöligen Deckel vom Einfüllstutzen. Ich hänge den Trichter in den Öleinfüllstutzen. Ich greife die Flasche mit dem Öl und öffne sie. Ich lege den Deckel der Flasche ebenfalls vorsichtig auf das Küchenpapier. Ich mache mir selber Licht und kippe vorsichtig die Ölflasche über dem Trichter nach vorne. Einen kurzen Moment stutze ich, weil die Flüssigkeit, die in den Trichter gluckst, mir so dünnflüssig vorkommt. Einen kurzen Moment lasse ich sie weiter glucksen.
Und dann flutet es mir siedend heiß Gesicht, Hirn und Herz.
Das ist nicht das Öl!
Ich reiße die Flasche aus dem Motorraum. Schaue drauf. Es ist die Kühlflüssigkeit. Ich weiß, was das bedeutet, kann mir die Erkenntnis aber noch einen Moment vom Hals halten. Ich rufe den Leiter des Stützpunktes auf Elba an, weil ich jetzt jemanden brauche, mit dem ich Deutsch reden kann. Während ich mir zurechtlege, was ich ihm erklären muss, phantasiere ich, wie er sagt: „Ja, – ist blöd, aber auch nicht so schlimm. Sie müssen jetzt einfach folgendes machen: …“
Die Wahrheit ist: In geschäftsmäßigem Katastrophen-Management-Ton spult er das notwendige Prozedere ab. Kompletten Ölwechsel machen. Das ganze alte Öl muss raus. Ölfilter wechseln. Auch hier können Reste von Kühlmittel drin sein.
Wir haben heute Samstag, sagt er, da werden sie da, wo sie jetzt sind, bleiben müssen. Vor Montag läuft da jetzt nichts mehr.
Erst jetzt fühle ich von einem Moment auf den anderen, dass meine Gedanken und Gefühle schmerzhaft verätzt sind.
Ich hatte mich so auf diesen Tag gefreut. Traumwetter. Schöner Wind. Und als Ziel den Hafen, den wir schon kennen. Und der einer der schönsten auf unserer Tour war. Vibo Marina.
Und jetzt habe ich das mit 3 Sekunden Unaufmerksamkeit zunichte gemacht. Geradezu schmerzhaft intensiv phantasiere ich, ich könnte diese 3 Sekunden zurückspulen. Und das 20 Mal pro Minute. Und steigere den Schmerz noch mit dem bitteren Gedanken, wie absurd dieser Gedanke ist. Und schimpfe mit mir selbst, dass ich mir auf so dumme Art meine eigene Vorfreude so unwiderruflich zerstöre. Dass ich aus einem wunderschönen Tag einen Scheißtag mache. Und kann kaum atmen. Und habe Herzklopfen und Nackenschmerzen und schreie innerlich, dass das jetzt bitte nicht wahr ist. Und schreie äußerlich, weil es nicht so ist.
Mich wundert, dass die Liebste relativ gelassen reagiert. Sie ist schon dabei, an den Lösungen zu arbeiten.
Schließlich gehen wir zum Hafenmeister. Ich ein Senkkopf-beschwertes haderndes Elend. Sie einfach eine energisch ausschreitende Frau, die jetzt gleich ein Problem lösen wird.
Wir haben ein paar Begriffe nachgesehen und versuchen verzweifelt sie zu behalten für das Gespräch mit dem Hafenmeister. Einfüllstutzen. Aus Versehen. Einfüllen. Kühlflüssigkeit. Ölwechsel. Ölfilterwechsel. Werkstatt.
Der Hafenmeister reagiert auf unsere Geschichte mit aufmerksamer Gelassenheit. Und sagt den am wenigsten erwarteten Satz. Non c’è problemo.
Wie bitte?
Ja, – den Ölwechsel mache ich selber. Ich bin hauptberuflich Schiffsmechaniker. Die einzige Schwierigkeit ist, heute, am Samstag den Ölfilter und das Öl zu besorgen. Aber ich kenn ein paar Leute. Das wird schon gehen. Ich komme jetzt mit zu Ihrem Schiff, schreibe mir ein paar Daten zu dem Motor auf, telefoniere ein bisschen und dann komme ich in einer halben Stunde nochmal wieder.
Das ist so erleichternd, dass wir uns noch gar nicht trauen, zu glauben, dass es das Ganze so einfach gut ausgehen soll.
Und nach einer halben Stunde kommt er tatsächlich über den Steg geschlappt. Hat einen silbernen Koffer in der Hand und eine Tüte. Auf dem Schiff fängt er augenblicklich an zu hantieren. Windet sich mit Eleganz in kaum zugängliche Kleinsträume in diesem Aggregat, frickelt eine eigentlich zu dicke Leitung in den Stutzen des Ölmessstabes. Zaubert irgendwie ein Spezialwerkzeug auf den Ölfilter. Schafft es millimeterweise ihn zu lösen. Was er auch macht, ich beobachte staunend dieses schweigende Bewegungsuhrwerk. Immer, wenn ich seinem Stöhnen oder meinen Beobachtungen entnehme, dass jetzt gerade irgendwas nicht funktioniert, löst sich meine Hoffnung, wir würden nochmal davonkommen, wieder auf. Und erscheint von neuem, wenn ich sehe, wie der Mann für irgendein Problem dann doch noch eine andere Lösung findet. Er redet kaum. Er arbeitet gelassen und zielstrebig. Ab und zu lässt er sich von mir etwas anreichen.
Nach zweieinhalb Stunden ist er fertig.
Er stapft zurück zu seinem Büro. Wir sollen „doppo“ hinterherkommen. Auf einem Schmierzettel stehen ein paar Zahlen. Darunter eine Endsumme. Das bekomme er von uns.
Es ist viel zu wenig für mein Gefühl. Ich gebe ihm deutlich mehr. Er will das nicht. Ich zeige ihm mit Hingabe, dass es sehr wichtig für mich ist, ihm mehr zu geben. Von dem, was zuviel sei, sagt die Liebste zu ihm, könne er ja seinen Kindern etwas Schönes kaufen. Das überzeugt ihn.
Wie er eigentlich heiße. Rocco. Wir reden noch ein bisschen. Scherzen nochmal über die vergessenen Schiffspapiere und über das Hinterherbringen.
Ganz am Ende frage ich ihn, ob er uns eine schriftliche Bescheinigung geben könne, für die Charteragentur. Das könne er leider nicht, sagt er und fragt, wo wir das Schiff denn abgeben müssten. Wir sagen es ihm und er strahlt. Ach so, ja, Tropea. Suncharter. Klar. Da ist doch der Stützpunktleiter Francesco. Den kenne ich. Den rufe ich einfach eben an. Und hat schon gewählt.
Um 1 können wir tatsächlich auslaufen. Er winkt hinter uns her. Diesmal reicht das. Er muss nicht auch noch ein Motorboot klarmachen, wie am 23. September.
Und wir denken ein wenig demütiger darüber nach, ob es nicht vielleicht doch stimmt, dass es keine Zufälle gibt.