Tag 58
Abstand ohne Distanz
Ich lungere vor der Apotheke herum. Kann noch nicht rein. Zuviele Leute drin. Zwei. Dauert so lange, bis ich endgültig jede Werbetafel im Schaufenster gelesen habe. Und noch länger.
Dann entdecke ich noch ein Plakat auf der anderen Seite der Eingangstür.
Eine Frau im weißen Kittel. Apotheken-Interieur hinter ihr. Brille. Dunkle Haare. Mittleres Alter. Ein sehr einladendes Lächeln. Aber auch wieder nicht zu leutselig. Sie soll ja Zugewandtheit und zugleich Seriösität und Kompetenz ausstrahlen. Schätze ich.
Das tut sie. Schätze ich.
Darunter der Satz: „Abstand hat nichts mit Distanz zu tun. Wir sind weiterhin für sie da.“
Da gibt es einen Menschen, der den Auftrag hat, sich einen werbewirksamen Spruch auszudenken. Dann gibt es Menschen, die sich seine Vorschläge mal informell ansehen. Dann gibt es Menschen, die auf irgendeinem Meeting sich entscheiden. Für genau diesen Spruch. Dann gibt es Menschen, die layouten. Und Menschen, die drucken. Und Menschen, die das fertige probegedruckte Plakat zum Druck und zur Verwendung freigeben, nachdem sie es in einem Meeting begutachtet haben.
Da sind einige Menschen beteiligt. Und keiner, dem auffällt, wie idiotisch der Spruch eigentlich ist. Natürlich hat Abstand mit Distanz zu tun. Wer je versucht hat, über den Mundschutz weg auf 2 Meter Innigkeit und Nähe herzustellen, weiß das. Und leidet darunter.