Tag 76

Der Igel und der Molch

Und so zog der Igel weiter.
Er sah im Vorbeigehen einen kleinen Teich und ihm fiel auf, dass er Durst hatte. Vorsichtig tastete er sich an die Wasserkante heran. Er wusste, dass er besser nicht abrutscht und ins Wasser fällt. Als er gerade die Schnauze ins Nass senken wollte, bemerkte er, dass unmittelbar vor ihm ein Wesen im Wasser schwebte.
Er erschrak.
„Was machst du denn hier?!“
„Hallo??!! Ich lebe hier!“
Der Igel schämte sich ein bisschen. Die Frage war wirklich albern gewesen. „Und du?“, hörte er, „was machst du hier?“
„Ich, … ehm“, der Igel zögerte. Sollte er sich wirklich einem Wildfremden offenbaren? Dann sprach er weiter. Nicht, weil er sich entschieden hatte. Eher, weil er keine Antwort auf die Frage fand.
„Also, … ich suche jemanden, der mir zeigen kann, wie ich ein dickes Fell bekomme.“
„Hast Du doch!“
„Das ist kein Fell. Das sind Stachel.“
„Was sind ‚Stachel‘?“
Der Igel versuchte zu erklären, aber er hatte von Anfang an das Gefühl, dass das sinnlos war. Das fand auch der Molch. Nach einiger Zeit schlug er vor: „Ich komm raus und schau mir das an.“
„Ja, ist klar!“, maulte der Igel ironisch. „Wie denn? Du lebst im Wasser!“
„Also bitte!! Dein Horizont geht auch nur bis zum Ende deiner Hecke, oder?! Ich bin ein Molch, ich kann das. Geh mal ein Stück zurück.“
„Warum?“
„Du glaubst doch nicht, dass ich dir jetzt direkt vor der Nase herumspaziere. Du bist ein Raubtier.“
„Nein, nein, ich tu dir nichts!“
„Das sagen sie alle. Geh schon!“
Der Igel tapste ein Paar Schritte rückwärts.
Der Molch kroch aus dem Wasser und bewegte sich in einem großen Bogen um den Igel herum zu dessen Hinterteil. Dort angekommen, kletterte er auf seinen Rücken.
„Ui!“, rief er, „das fühlt sich wirklich nicht wie Fell an. Bist du überall so?
„Nein, am Bauch nicht.“
„Dreh dich mal um.“
Dann kroch der Molch dem Igel auf den Bauch. Der streckte die Beine in die Luft und wand sich wohlig unter den zarten Berührungen durch die Füße des Molchs.
Der kletterte nach einer Weile  herunter und kroch im Bogen zurück zum Teich. Als er wieder vor dem Igel im Wasser schwebte, fragte er: „Warum willst du ein Fell?“
Der Igel legte seinen ganzen Jammer in die Stimme.
„Alle Raubtiere sind stark und unangreifbar. Und alle haben ein kuscheliges dickes Fell.“
„Quatsch!“, erwiderte der Molch, „Du bist auf der einen Seite wehrhaft und stark und auf der anderen empfindsam und weich. Das sind wir auf die eine oder andere Art alle. Jammer nicht rum.“
Für einen Moment wanderte der Blick des Igels nach innen und folgte den Worten des Molches in sein Herz. Als er wieder zurück aufs Wasser schwenkte, war der Molch verschwunden.
Der Igel wusste nicht recht, warum, aber er war sicher, dass er jetzt auch einfach nach Hause gehen konnte.