Ein Spielzeug als Skulptur
Die Liebste und ich erkunden den Lungomare. Hier führt er recht weit oberhalb an der Felsenküste entlang. Wir entdecken ein Schild. Es weist auf einen Brunnen hin. Wir schauen uns um. Zu sehen ist nur eine Mischung aus Treppe und Weg abwärts. Ein Brunnen nicht. Er wird wohl irgendwo da unten um die Ecke sein.
Wir stapfen hinab, kommen um die Ecke, sehen den Brunnen und lachen. So spektakulär, wie man es nach dem Schild erwarten würde, ist er nun gerade nicht.
Im Hintergrund ein kleiner Marienaltar im Felsen. Teil davon ist ein Gebet. Es bittet Maria, die Fischer zu beschützen.
Mein Blick fällt auf die Gischt-umspülten Felsen links daneben. Da ist etwas, das da nicht hingehört. Irgendwie. Ich gehe näher heran, kann es aber immer noch nicht identifizieren. Merkwürdig. Wie aus einer anderen Welt. Ich gehe noch näher und erkenne, was es ist: Ein Spielzeug. In meiner späteren Erinnerung ist es ein kleiner grüner Trecker. Drei, vier Zentimeter groß. Er hat gelbe Räder. Eines ist seitlich abgeknickt. Trotzdem scheint er mir noch fahrtüchtig. Aber er liegt da nicht einfach rum. Angespült. Er thront wie mit großer Sorgfalt aufgestellt mitten auf einem Großkiesel-Sockel. Ich stelle mir einen kleinen Jungen vor. (Natürlich einen Jungen!) Er balanciert zwischen den Felsen, immer in der Gefahr, nass zu werden. In seiner Hand der Trecker. Auf der Suche nach einem geeigneten Stein. Er findet ihn. Und drapiert das Gefährt auf der Mitte der Kuppe. Wie schön es aussieht. Fast ein bisschen stolz. Ein Kunstwerk.
Die Mutter ruft. Sie hat Aufregung in der Stimme. Der Junge muss sofort reagieren. Er will nicht, dass sie Angst hat. Er will aber auch nicht, dass sie sieht, in welch gefährlichen Gefilden er hier herumklettert. Also kraxelt er hoch. Sieht sie. Sie ihn. Sie nehmen sich in den Arm. Sie greift seine Hand. „Komm“, sagt sie, „Papa wartet.“
Die Liebste und ich steigen den „Brunnenweg“ wieder hinauf. Ich nehme mir vor, das Trecker-Kunstwerk morgen zu fotografieren.
Leider zieht sich der Himmel bedrohlich zu. Hoffentlich ist das nur ein harmloser Schauer.
Ist es nicht. Es ist ein ausgewachsenes stürmisches Unwetter. Mehrmals müssen wir im Restaurant den Tisch tiefer unter die Markise ziehen, weil der peitschende Regen unter das Dach geweht wird. Schließlich geben wir auf und ziehen um. „Dall‘ inferno all‘ interno“. Fast zu spät.
Am nächsten Morgen mache ich mich, ausgerüstet mit meinem Fotoapparat, auf den Weg zum Treckerkunstwerk. Nicht besonders zuversichtlich, dass es noch da ist. Im Gegenteil: Ich bin ziemlich sicher, dass der Trecker mindestens vom Sturm weggefegt wurde. Oder von schäumenden Wellen weggespült. Oder beides. Und hoffe trotzdem.
Ich komme um die Ecke, missachte Brunnen und Marienaltar, und sehe schon von Weitem: Der Trecker ist weg. Alles, wie man es erwarten würde. Nichts, was da nicht hingehört. Nichts aus einer anderen Welt. Nur Felsen, die vom inzwischen wieder beruhigten Meer umspült werden.
Fast erstaunt es mich, wie traurig es mich macht.
Ich stehe da und fange an, mich abzufinden.
Dann eine Idee. Der Wind kam seewärts. Die Wellen stoben zum Ufer. Kann dann nicht eigentlich der Trecker nur irgendwo hier zwischen den Steinen liegen? Er wird doch wohl kaum hinaus auf’s Meer getragen worden sein! Hoffnung keimt auf. Von hier oben sehe ich nichts. Ich muss runter und fange fast gleichzeitig mit dem Gedanken wackelig zu klettern an. Dann besinne ich mich zum Glück. Erst mal den Mann sichern. Dann die Kamera. Konzentriert und langsam balanciere ich. Bleibe stehen. Suche die Zwischenräume ab zwischen den Riesenkieseln um mich herum. Balanciere weiter. Schiebe den Blick wieder nach unten.
Und dann sehe ich ihn. Tatsächlich. Er ist zwischen zwei Felsen gerutscht. Hier hat er den Sturm gut überstanden. Ich schüttele den Kopf und schnaufe ein Lächeln durch die Nase. ‚Mein‘ Trecker ist kein Trecker. Es ist ein Rennwagen. Und er ist nicht grün, sondern lila. Aber es ist ‚mein Trecker‘. Die Räder sind gelb und eines ist seitlich weggeknickt.
Zwei, drei tief gebeugte Extra-Schritte, dann habe ich ihn. Mit der Hingabe des kleinen Jungen drappiere ich ihn wieder auf ‚seinem‘ Felsen. Klettere sogar zweimal wieder hoch, um zu schauen, ob er auch genau da steht, wo er gestern stand. In meiner Erinnerung.
Als ich wieder gehe, strahle ich innerlich. Glücklich darüber, die kleine Trecker-Rennwagen-Skulptur wiederhergestellt haben zu können. Glücklich darüber, mich sinnlosem Tun von größter Bedeutung hingegeben zu haben. Ich mache mich auf den Rückweg. Schnell möchte ich mein Abenteuerchen der Liebsten erzählen.