07. Oktober 2018
(Valdichiesa, Salina)
Wir machen es tatsächlich. Wir nehmen die Einladung von Bartholo an. Mit dem Bus fahren wir nach Valdichiesa. In Malfa müssen wir umsteigen.
In Valdichiesa steigen wir aus. Schauen uns um. Auf einem Hügel steht eine kleine, auf liebenswerte Art verwitterte Kirche. Drumherum nur einige ganz wenige Gebäude. Wir steigen hinauf. Schon bald hören wir Gesänge.
Es läuft eine Messe. Vor der Kirche mäandern einige Menschen. Manche kommen aus der Kirche, manche gehen hinein, manche gehen einfach so hierhin, dahin. Rechts von der Kirche bereitet sich eine Brass-Band von jungen Menschen vor. Sie werden gleich spielen. Ganz langsam werden sie lauter. Reden. Lachen. Probieren die Instrumente. Einige Männer, die im Eingang der Kirche stehen, bedeuten ihnen freundlich, aber energisch, dass sie die Messe stören. Sofort wird die Gruppe leiser. Für cinque minuti.
Vor der Kirche sind in einem großen Viereck Tische aufgebaut. Weiße Decken darauf. Und Blumenschmuck. Ansonsten sind sie leer.
Wir hocken auf einer Mauer etwas abseits. Mal in der Sonne. Mal im Schatten. Mal zu heiß. Mal zu kühl. Der Sommer ist nicht mehr groß.
Dann nimmt das Mäandern zu. Immer mehr Menschen kommen aus der Kirche. Ein paar Mal denken wir: So, jetzt ist wohl die Messe zu Ende. Aber jedes Mal geht sie weiter. Ein besonders inbrünstig gesungenes Lied und eine besonders feierlich geschmetterte Orgel zeigen dann aber doch das eigentliche Ende an.
Sehr viele Menschen quillen aus dem Gotteshaus. Beseelt lächelnd wimmeln sie auf den Stufen. Noch aber bleiben sie in der Nähe. Erst nach einer Weile verstehen wir, warum. Der Pastor versucht mit Rufen und Gesten, sie alle auf den Stufen zu versammeln. Die eine oder die andere muss er persönlich bitten. Und dann hat er es geschafft. Der größte Teil der Gemeinde steht für italienische Verhältnisse extrem geordnet vor der Kirche. Die Erinnerungsfotograf*innen drängen die Menge immer dichter zusammen. Apparate klicken. Handys zwipschen.
Anschließend spielt die Brassband.
Es macht Spaß, sie zu sehen und zu hören. Sie sind gut eingespielt. Sie genießen, was sie tun. Vorne rechts muss eine in den Spielpausen doch ab und an mal kurz aufs Handy schauen. Es gibt keinen Dirigenten. Der Leiter steht inmitten der Gruppe. Er spielt ein Bass-Saxophon. Er ist das Zentrum. Kaum merklich reguliert er von hier Tempo, Takt und Dynamik.
Nach 5 oder 6 Nummern ist es soweit. Die Tische werden gedeckt. Unzählige Platten, Schüsseln und Töpfe werden aus einem der anliegenden Gebäude hierher getragen. Kurz darauf stieben alle um die Leckereien. Es wird heftig gedrängt, geschubst, geangelt, gehäuft, geplappert. Zu stark beladene Plastikteller werden balanciert. Wir mittendrin. Mit vollen Tellern ziehen wir uns wieder aufs Mäuerchen zurück. Bartholo kommt vorbei. Begrüßt uns mit Freude. Stellt uns Eduardo vor, seinen Sohn, Esther, seine Tochter und Sabina, seine Frau. Immer wieder mal kommen sie alle gucken, ob wir noch da sind, plaudern ein wenig, mäandern weiter.
Plötzlich ragen aus dem Geplapper um uns herum Worte heraus, die wir verstehen. Eine Gruppe älterer Menschen spricht Deutsch. Eine Spur zu laut. Für unseren Geschmack. Dabei sprechen sie nicht lauter als alle anderen hier. Nur dass wir uns nicht konzentrieren müssen, um sie zu verstehen. Man kommentiert die Speisen. Dieses sei gut, das nicht so. Dies sei eher langweilig. Hiervon sei zu wenig da. „Ganz schönes Gedränge.“ „Ich lauf schnell nochmal, bevor das alle ist.“ „Jetzt könnte aber langsam mal der Nachtisch kommen.“ „Hoffentlich gibt’s überhaupt welchen.“ „Hö hö.“„Bestimmt. Wir sind ja in Italien.“ „Hö hö.“ Einer holt die dritte Runde Wein. Eine jüngere Frau, offenbar die Reiseleiterin, erklärt der Gruppe den weiteren Verlauf des Tages. Der Bus komme gleich. Er habe im Moment noch eine andere Tour. Dann fahre man in Robertos Olivengarten. Dort würde man ein bisschen über den Olivenanbau erfahren und bekomme selbstverständlich auch einen Imbiss. „Oh, da ist ja Roberto, der Olivengärtner. Da kann ich ihn gleich mal rasch vorstellen.“ Dem ist das sichtlich unangenehm. Da man aber weiteressen und weitertrinken will, ist er schnell wieder erlöst.
Die Liebste und ich beichten einander, dass uns das Wort „Schmarotzer“ einfiel. Pflichtschuldig bemerken wir, dass wir selbst ja eigentlich auch schmarotzen. Um gleich danach klug zu begründen, weshalb wir anders sind. Und grinsen dabei. Trauen unserer eigenen Eloquenz nicht so richtig.
Die Reisegruppe ist ein guter Anlass so langsam zu gehen.
Wir wandern ein Stückchen runter zur Küste. Nach Leni. Von dort wollen wir den Bus zurück nehmen. Seine Ankunft dauert noch ein Weilchen, aber zum Glück ist direkt neben der Bushaltestelle eine Eisdiele…
Plötzlich sagt die Liebste: Guck mal, da ist unser Betreuer. Ihr Lächeln und ihre Freude formen die Anführungsstriche. Sie erinnern mit schöner Feinironie daran, was wir gestern auf der Tachelesbank erlebt haben.
Bartholo will seinen Kindern ein Eis spendieren. Esther hüpft eilig nach innen. Die Sorte aussuchen. Eduardo bleibt am Vorgarten hängen. Dort ist ein kleines Gehege mit Schildkröten. Sie dösen halb im Wasser in einem kleinen Bassin. Mehrmals kommt sein Vater heraus und drängt. Ob er nun ein Eis wolle oder nicht. Ja, ja, klar. Aber dann kann Eduardo sich doch nicht von den Schildkröten lösen. Schließlich kommt der Vater mit Esther heraus, hebt mit Schwung im Vorbeigehen Eduardo hoch. Der will gerade protestieren, da hält der Vater ihm ein Schokoladeneis entgegen.
Kurz darauf hören wir eine Hupe. Unser Bus kommt.