II Gendern
Das Gendern ist eine Banalität. Sie ist nur von den Apologeten des „gesunden Menschenverstandes“ und den hysterischen Kämpfer:innen gegen die „Bevormundung“ durch „links-grünen Zeitgeist“ zur Bedeutsamkeit aufgebläht. Dass sie es ebenso wie die Leidkultur in den Entwurf des neuen Grundsatzprogramms der CDU geschafft hat, verwundert mich. Und es verwundert mich auch das Wie: Die CDU setzt gegen den – zur Zeit ja noch nur vermuteten – „Gender-Zwang“ den „Nicht-Gender-Zwang“. Ein wahrer Kunstgriff, – diese mehrfache Verneinung. Der Zwang zum Verbot eines Zwangs, der gar keiner ist.
Dabei ist der Versuch Ausdrucksmöglichkeiten zu entwickeln, die Menschen tatsächlich aller Geschlechter adressieren, gar keine Frage von Verbot und Erlaubnis. Er ist eine Frage der Schönheit.
Er ist einfach Teil dieses lebendigen Wunderwesens Sprache. Das eh macht, was es will. Es will ja nur spielen. Warum nicht mitspielen? Und Möglichkeiten entdecken. Und die Hürden. Eine Sprache, die, wenn verschiedene Menschen angesprochen sind, in Wort und Ton tatsächlich alle Geschlechtlichkeiten anspricht, ist schön. So wie es schön war, eine erwachsene Grundschullehrerin nicht mehr „Frollein“ zu nennen. So wie es schön war, nicht mehr nur zu sagen „liebe Kollegen“ und die Frauen auch zu meinen. So wie es immer schön ist, Möglichkeiten zu finden, zu sagen, was und wen man meint. Und wie es schön ist, auch Lücken in diesen Möglichkeiten zu entdecken.
In der Serie Polizeiruf 110 gibt es eine neue Figur. Einen queeren polnischen (!) Kommissar. Gespielt von André Kaczmarczyk, einem deutschen Schauspieler. In der Folge „Cottbus kopflos“ kann man die Schönheit des Genderns sehen. Wenn man hinschaut. Und hinhört. Wie der Kommissar in einer Szene mit einer lässigen und auf unaufgeregte Art stolzen Selbstverständlichkeit den kleinen Stopper ins Wort hineinkullern lässt, – das ist einfach schön:
[Video-Screen-Mitschnitt. 19.12.2023 13:48
https://www.ardmediathek.de/video/polizeiruf-110/cottbus-kopflos/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3BvbGl6ZWlydWYgMTEwLzIwMjMtMTEtMTJfMjAtMTUtTUVa]
Für diesen Text versuche ich herauszufinden, ob der Schauspieler André Kaczmarczyk queer ist. Es dauert eine Weile, bis ich bemerke, dass es eine Hürde war. Jetzt ist es schön, es nicht zu wissen, und es auch nicht wichtig zu finden. Es ist egal, welche geschlechtliche Identität André hat oder sich gibt. Er ist eben einfach eine Person, die sehr gut schauspielern kann, sogar die Schönheit des Genderns.
Postskriptum:
Der Entwurf des neuen CDU-Grundsatzprogramms warnt davor, dass mit der Nutzung z.B. des Gendersternchens grammatikalisch falsche Sprache benutzt werde. Nun benutzen das silberbesteckliche Wort „grammatikalisch“ gerne Menschen, die den Eindruck erwecken wollen, sie seien im Besitz tieferer Einsicht in das Regelwerk des Schreibens. Sonst würden sie einfach das etwas schmucklosere Wort „grammatisch“ benutzen. Es bedeutet dasselbe. Gerne erwecken sie auch den Eindruck, Grammatik sei ein System von ehernen Verfügungen, in uralte Schrifttafeln eingemeißelt, für alle Zeiten aufbewahrt an kultischen Orten. Stimmt aber nicht. Grammatik ist einfach ein Extrakt aus dem in einer Zeit gebräuchlichen Sprachverhalten, damit Lehrer*innen wissen, was sie anzustreichen haben und Behörden-Deutsch für alle gleich ist. Und der Sprachgebrauch ändert sich jeden Tag. Man kann, wenn man nun unbedingt will, eine Zeitlang sich gegen solche Änderungen wehren und deren Gerinnung zum grammatischen Extrakt. Aber verhindern kann man es nicht. Also kann man sich getrost Wichtigerem zuwenden.