Die Wochen 3 + 4
Stationen:
Civitavecchia,
Ostia (Porto turistico di Roma),
Fiumicino (Porto Romano),
Nettuno,
Isola Palmarola,
Isola Ventotene
Civitavecchia,
Ostia (Porto turistico di Roma),
Fiumicino (Porto Romano),
Nettuno,
Isola Palmarola,
Isola Ventotene
(Civitavecchia)
Natürlich wollen wir nach Rom! Und auch wieder nicht. Denn in Rom werden wir uns von Klaus und Heide verabschieden. Wir fahren mit dem Zug dorthin. Obwohl Heide und Klaus ihr Gepäck schon dabei haben, schaffen wir es noch, den Abschied auszublenden. In Rom machen wir das, was wir in großen Städten am liebsten machen. Latschen. Allerdings zuerst unfreiwillig. Wir wollen eigentlich an einer Haltestelle in einen Hop-on-hop-off-Stadttour-Bus einsteigen, um damit zum Collosseum zu fahren und von dort weiter zu spazieren. Wenn wir eine Haltestelle haben, kommt kein Bus. Wenn ein Bus kommt, stehen wir gerade nicht an der Haltestelle. So treiben wir langsam weiter und sind schließlich so nah, dass wir das Collosseum schon sehen. Gut ist dieser Weg. Diese volle Breitseite antiker Stein-Zeugnisse einer gigantischen Großmacht hätte uns womöglich so eingeschüchtert, dass wir schnell weitergegangen wären.
So aber nähern wir uns langsam. Nehmen auch das andere Rom wahr. Das von heute. In dem Menschen wohnen, arbeiten, einkaufen, herumlungern, warten, hetzen, – was auch immer. Sie, die hier leben, relativieren die Wucht der Geschichts-Kollosse, an denen wir staunend und schwitzend entlang gehen. Auch den Trevi-Brunnen nehmen wir mit auf unserer kleinen Erkundung. D.h.: Wir vermuten, dass er es ist.
Sehen können wir ihn so gut wie gar nicht. Zu viele Menschen. Zu viele Andenken-Händler*innen. Zu viele Nippes-Stände. Solche Orte haben sicher die Erfindung der Selfie-Sticks gefördert. Man braucht eine Von-Oben-Perspektive um mit einer Sehenswürdigkeit zusammen ins Bild zu kommen. Kurz zuvor hatten wir in einem Nachrichtenportal gelesen, dass zwei Touristinnen sich genau hier in eine üble Schlägerei verwickelt haben, weil sie sich um einen Selfie-Standpunkt stritten. Der nächste Schritt ist schon in der Pipeline. Demnächst werden Tourist*innen durch die Stadt schwärmen und über ihnen kreist eine per Handy gesteuerte Drohne, die jederzeit bei netten Selfie-Post-Chancen zugreift. Das wird ein lustiger Flugverkehr.
Noch einmal essen wir in einem kleinen Restaurant eine Pizza. Stehen dann an der Bushaltestelle, als wollten wir noch woanders hinfahren. Fast scheint es, als würden wir erst in dem Moment, wo die Köpfe von Heide und Klaus sich noch einmal aus der Menge im Bus recken, um lächelnd zu sehen, wie wir die aus dem Restaurant mitgenommenen weißen Servietten schwenken, begreifen, was das hier ist: Abschied.
Ein bisschen ratlos schauen die Liebste und ich dem Bus hinterher. Dann ist klar: Wir schlendern weiter. Das gemütliche Treiben auf der Piazza Navona hilft uns zurück aus dem Abschied in den Urlaub.
Vorläufig.
Mit dem Sonnnenuntergang kommen dann Melancholie und Besorgnis. Wie wird es jetzt wohl werden auf dem Boot? All diese Verrichtungen, die wir jetzt alleine hinkriegen müssen. Anker fallen lassen, Anker lichten, Segel setzen, Segel bergen, Häfen suchen, Ankerplätze suchen, vielleicht keine finden, die Begegnungen mit Unruhe und Besorgnis bewältigen. Wir schliddern mit unseren umwölkten Gemütern auch an Missstimmungen zwischen uns entlang. Wir finden das Gleis nicht, von dem aus der letzte Zug uns nach Civitavecchia zurückbringen soll. Was, wenn wir ihn verpassen? Ein Augenbrauen-Zucken der Liebsten, als es einen Moment lang so aussieht, als hätte ich die Rückfahrkarten verschlonzt, schafft es gerade eben noch, nicht der Tropfen zu sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Vielleicht ist es ein Glück, dass wir geschafft sind von dem Tag. Zu müde zum Streiten. Und zu klug. Das Schweigen ist zwar dumpf, aber doch erträglich. Schlafen hilft. Morgen werden wir uns wieder freuen.
(Civitavecchia)
Waschtag. Jetzt also alleine. Einen ganzen Tag lang eignen wir uns unser Zuhause nun wieder neu an. Bereiten uns vor auf das, was kommt. Was uns ein bisschen beunruhigt. Und worauf wir uns genauso freuen. Denn genau das wollten wir ja: Tiefe Ruhe! Den Frieden des Segelns! Und zugleich das Abenteuer dieser Art von Reise.
(Santa Marinella)
Wie schön das ist! Wir haben alle Abläufe in Ruhe besprochen. Und sie klappen wunderbar. Vom Ablegen über das Segel Setzen, das Segeln bis zum Anlegen. Wir können das! Richtig gut! Und zu zweit. Nur ein kurzes Stück segeln wir, um uns heranzutasten. Und sind glücklich.
(Porto Turistico di Roma, Ostia)
Beim Wachwerden war es plötzlich klar: Ja, ich möchte schreiben. Ab und zu. Für meinen Blog. Über unsere Reise. Mit dem Wohlgefühl eines schönen Vorsatzes schäle ich mich schon sehr früh aus der Koje. Wie immer setze ich eines dieser Doppelkegel-förmigen Kännchen auf den Gasherd, mit denen man sich im ganzen Mittelraumraum die morgendliche Kammerflimmerbrühe zubereitet, den Herd zusaut, wenn man es wieder mal zu lange auf der Flamme stehen lässt und wie üblich vergisst, beim Abzapfen den Deckel aufzumachen, so dass einige Tropfen neben die Tasse kleckern. Wenn ich vom Pinkeln komme, wird sie leicht röchelnd die Kajüte mit verlockenden Duft füllen.
Die Liebste schläft noch. Ich steige ins Cockpit. Himmlische Ruhe. Mildes Morgenlicht. Ein frischer Tag. Was man jetzt alles Tolles machen könnte. Jede Menge Möglicheiten. Z.B. den ersten Text für den Blog schreiben. Oder dieses Sudoku anpacken, auf dem ich schon so lange herumkaue. Oder das Logbuch auf den letzten Stand bringen. Oder schon mal die Wetterberichte studieren? Oder ein paar Seiten lesen? Ach, – so viele Möglichkeiten! Und doch immer wieder ein „Och, — nööö.“
Mein Blick fällt auf das Stück altes Brot, das schon seit ein paar Tagen unter der Sprayhood herumlungert. In dem Moment weiß ich, was ich mache: Fische füttern.
Gar nicht einfach, von dem brettharten Knochen Krümel in der Größe von kleinen Fischmäulern abzuknispern. Bei den ersten Versuchen rieselt erstmal nur Kleinstgefissel ins Wasser. Dann endlich ein paar kleine Krumen. Eine ganze Weile glotze ich freudig gespannt auf das Fischfutter. Dann macht sich langsam Enttäuschung breit. Kommt keiner. Enttäuscht will ich mich schon abwenden und erneut der drängenden Frage stellen, welche kulturell hochstehendere Beschäftigung jetzt folgen sollte. Da sehe ich plötzlich: Es tut sich doch was!! Und zwar viel!! Unzählige klitzekleine Fischchen, kaum größer als Mückenlarven, nuckeln an den Kleinstbröckchen herum. Das ganze Körperchen eines jeden zittert vor Aufregung. Hmmm! So leckere Häppchen! Sie sind die Babys. Kurz danach die Kinder. 4-5 cm lang. Erst nur 3 oder 4. Sie sind vorsichtiger. Ihnen geistern wahrscheinlich schon ein paar gruselige Geschichten im Kopf herum, die die Alten nicht müde werden zu erzählen. Von bösen Fallen, durch die man glaubt hindurchschwimmen zu können, und aus denen man dann doch nicht mehr herauskommt. Oder von leckeren Würmern, die einem unverhofft vor’s Maul pendeln. Und dann freut man sich und schnappt zu und beißt in etwas Spitzes, Hartes, das unfassbar weh tut im Gaumen. Und im nächsten Moment wird man schon aus dem Wasser gerissen. Die Großen erzählen gerne auch so bescheuerte Abenteuer-Geschichten. Wie sie mal ein merkwürdiges Schwimmwesen verfolgt habe, das mit einem langen spitzen Gegenstand in den Flossen auf sie gezielt habe. Und dann sei dieser Gegenstand auf sie zugeschossen und sie hätten erst im letzten Moment, … und so weiter, und so weiter. Sie würden ältere Großfische aus ihrer Familie kennen, die schwere Narben am Körper trügen von solchen Begegnungen. Nun schwammen da aber diese leckeren Häppchen, und es wurden immer mehr. Und eigentlich war doch weit und breit keine Gefahr zu sehen. Oder? Kommt, lasst uns lieber noch ein paar Kumpels holen, o.k.?!
Und so drehten die 3 oder 4 einfach erstmal wieder ab. Erneut Enttäuschung bei mir. Aber nicht lange. Da kommt eine ganze Meute Fischkinder um die Ecke. Bestimmt 15 oder so. Und das muntere Fressen geht weiter.
Kurz danach die Jugendlichen. Cool. Erstmal gucken. Bloß nicht anmerken lassen, dass man genauso grell auf die Brocken ist, wie das kleine Kröppzeug. Erstmal ranpirschen. Und dann ganz ruhig und lässig mitten dazwischen, immer in Formation. Wir sind die Gang, wir gehören zusammen. Natürlich müssen die kleinen Pissblagen zu Seite. Tun sie auch.
Eine Etage tiefer sind jetzt immer öfter die Ollen auf Streife. Als ob sie lieber mal ein Auge auf diese Halbstarken werden wollten. Machen auf Draufgänger und wenn’s drauf ankommt, schreien sie doch nach Mama und Papa. O.k., – na gut, – wenn man jetzt schon mal hier ist, kann man ja auch den einen oder anderen Happen. Supervorsichtig natürlich. Man weiß ja Bescheid. Und hat sehr schnelle Augen. Sehr schnelle Augen.
Und dann der Chef. Noch eine Etage tiefer. Bestimmt 40 cm lang. Zieht langsam unten durch. Würdigt diese leichtsinnige gefräßige Blase keines Blickes. Die wissen nichts! Nichts wissen die! Da kann man reden und machen und tun … ! Und schon ist er im Schatten unter dem Steg verschwunden. Ich werfe ihm einzelne größere Stücke hinterher. Aber er bleibt verschwunden. Nur die Brocken sind auf rätselhafte Weise immer verschwunden, wenn ich nochmal hinschaue.
Der Clou am Abend. Die Liebste und ich müssen schallend lachen. Wir schlendern nach einer kleinen Passegiata mit Eis und Absacker am Hafenbecken entlang zurück zum Schiff. Unmittelbar vor unserem taucht plötzlich eine Gruppe von den Coolen auf. Schön in Formation wie heute Morgen. Lässig. Und dann das Unglaubliche: Sie heben allesamt die Köpfchen aus dem Wasser und klappen das Maul auf und zu. Eine ganze Weile. „Alter!!!! Was‘ mit Essen??!!“ Wie diese dämlichen Kojkarpfen, die sich vom Fisch-Sein irgendwie schon komplett verabschiedet haben.
(Porto Turistico di Roma, Ostia)
Fühlen, Denken, Dösen, Spinnen, Lieben, Genießen.
Das Aufwachen aus einem wundervollen Hafentag ist brutal.
Ich sitze gerade unten im `Salon`, und schreibe meine ersten Gedanken für den Blog. Die üblichen Geräusche und Bewegungen, die das Anlegen eines Nachbarschiffes macht, zwei, drei kurze Blicke auf das Wenige, das ich durch die kleinen Fenster sehen kann, – alles das sind nur unbedeutende kleine Randnotizen in meiner Wahrnehmung.
Plötzlich wird das Schiff am Heck in eine jähe Rechtsdrehung gedrückt. Noch bevor ich voller Schrecken zu Ende gedacht habe, was jetzt passieren wird, passiert es. Die Badeplattform am Heck kracht mit Schwung an einen kleinen Anbau an der Pier. Ich stürze raus. Die beiden, die auf dem Nachbarschiff herumturnen, sind genauso erschrocken wie ich. Ein endloses Durcheinander von Telefonaten mit der Charteragentur, verzweifelten Versuchen sich mit dem Schiffsführer auf Italienisch, mit seiner Frau auf Englisch zu verständigen. Auflauf von Mitarbeitern des Hafens. Erneute Telefonate. Hektisch aufgelistete Tätigkeiten, die jetzt zu tun wären und die sich in der Gemütlichkeit eines klimatisierten Büros weit weg leicht sagen, die sich aber hier bei brütender Hitze, umwoben von Wort-Findungs-Nöten, halb Verstandenem, gar nicht Verstandenem, gut Verstandenem, mit dem man aber nicht einverstanden ist, nur schwer umsetzen lassen. Beinah sind wir froh, als wir diesen ganzen Schlamassel am Abend abwimmeln können. Denn wir sind mit Kristina und Moritz verabredet, – Freunde, die genau zu dieser Zeit in Rom sind. Wir haben uns so über diese Verabredung gefreut. Wir wollen sie auf gar keinen Fall absagen. Die beiden sind genau die richtige Medizin gegen die inneren Unfallfolgen.
Erst in der Nacht lässt leider ihre Wirkung wieder nach.
(Porto touristico di Roma, Ostia)
Wir hatten das Unfallgeschehen für ausreichend dokumentiert und vorerst abgehakt gehalten. Wir wollten aufbrechen. Da stellt sich plötzlich heraus, dass ich mit dem Nachbarn noch zur Guardia Costiere muss, damit ein offizielles Unfall-Protokoll erstellt werden kann.
Das zieht sich so lange, dass eine längere Tour kaum noch geht. Trotzdem wollen wir weg. Und brechen auf. Die Nachbarn wundern sich. Wo wir denn hinwollten. Wir nennen den Ort um die Ecke. Und nennen auch den Grund: „Just to get away from here.“ Wenigstens verabschieden wir alle uns in Frieden voneinander.
(Fiumicino, Porto Romano)
Ein unglaublich idyllischer Blick vom Schiff aus auf die Mündung des Tiber ins Mittelmeer. Ein unglaublich schöner Hafen. Ein unglaublich schönes Bad, das die Liebste entzückt WhatsApps mit Bildern davon verschicken lässt. Ein Swimming-Pool. Eine unglaublich nette Mitarbeiterin im Hafenbüro. Hafenplatz-Nummern, die in Marmorplatten auf dem Boden gesteinmetzt sind. Ein wunderbarer Kiosk. Ein leckerer Wein. Ein romantischer Abendspazierganz. Ein verliebter Mond. Ich merke, wie verzückt die Liebste ist. Und bin es selber. Und frage sie, ob wir nicht einfach noch einen weiteren Ruhetag einlegen sollen. Die Antwort ist eine eindeutige Gegenfrage: Ein Ruhetag in der Einflugschneise?
Also weiter …
(Nettuno)
Man glaube nicht, wir segelten hier von Idylle zu Idylle.
Wir segeln in der Idylle …
… in den Trubel
… zwischen Rohbauskelette …
… und suchen uns da manchmal eine Idylle …
… und eine Eisdiele, in der es leckeres Eis gibt.
Hier, – davon sind wir überzeugt bis zur nächsten tollen Eisdiele – gibt es das leckerste Eis der Welt.
Und er ist der Chef
(Palmarola, pontinische Inseln)
Wir haben uns in das nächste Abenteuer getraut. Zum ersten Mal ankern wir alleine. Obwohl alles vorzüglich klappt, bleibt tief in uns Unruhe. Ob der Anker hält? In der Nacht schrecken wir auf. Ein heftiger Ruck, begleitet von einem Knall. Augenblicklich sind wir draußen. Mitten im Dunkel. Nichts ist zu sehen, was diese Bewegung und dieses Geräusch gemacht haben könnte. Wir kriechen wieder zurück in die Kojen und taumeln durch halbwachen Halbschlaf. Am nächsten Tag beobachten wir Anker und Kette genauer und entdecken die Ursache für die ruckartigen Bewegungen und den Krach. Ab und zu bewegt sich die Kette mit dem Schiff so, dass sie sich unter einem größeren Stein verhakt. Dann kann sie bei den Schiffsbewegungen nicht mehr sehr viel nachgeben. Wenn dann eine Welle den Bug anhebt, strafft sich die Kette schnell und kracht auf die Rolle, über die sie läuft. Einfache Erklärung. Nahezu unmöglich abzustellen. Dazu ist das Gelände hier einfach zu steinig.
Immerhin: Das wahnsinnige Knarzen haben wir mit einer Monster-Schraubzwinge, die wir in San Stefano nach langem Suchen kaufen konnten, abgestellt.
(Ventotene, pontinische Insel, porto vecchio)
Es gibt das also doch. Das Schlager-Italien. Wenn die Macher der Utta-Danella-Schmonzetten irgendwann die Nase voll haben von Cornwall (oder ist das Pilcher und Danella spielt in Skandinavien, ach nee, das ist Inga Lindström …), – wenn sie also die Nase voll davon haben und auf Italo schwenken: Hier müssen sie hin. Sie brauchen kein künstliches Ambiente bauen. Alles ist da.
Ein malerischer Hafen. Es sind die Überbleibsel eines römischen Galeerenhafens. Den unteren Rand der Gebäude am Hafen und der Hafenmauer zum Meer hin bilden Wände und Durchbrüche, die aus bräunlichem grauem Tuffstein geschlagen wurden. Die ursprünglich sicher mal vorhandene Rechtwinkeligkeit wurde von Wind und Regen in Jahrhunderten weichgezeichnet. Jetzt sieht man nur noch mild geschwungene Linien. An Land einige große Bögen.
Irgendwann waren sie mal die Eingänge zu Lagerräumen. Z.B. Lederriemen für die Ruder, Ersatzschlägel für die Trommel, mit der die rudernden Sträflinge angetrieben wurden, Fesselketten, verschiedene Ausführungen von Peitschen, was man halt so braucht auf Galeeren. Jetzt sind dort hinein malerische Restaurants gebaut, an Lieblichkeit kaum zu überbieten. Du sitzt an kleinen Tischen unter dem Tuffstein-Bogen. Ein Gläschen kühler (Nein! Nicht kalter!) Weißwein. Ein Schälchen Oliven. Vor dir nur ein kleines Stückchen asphaltierter Hafenweg, wie geschaffen für die dreirädrigen kleinen Knatter-Lieferwägelchen von Kitsch-Italien. Versonnen schaust du auf die fast in Greifnähe friedlich vor sich hin dümpelnden kleinen Boote. Einmal, als wir spät noch da sitzen auf ein Glas kühlen Weißwein (Nein! Nicht kalt!) und ein Schälchen Oliven und die Belegschaft am Nachbartisch genüsslich zum Feierabend kifft, ist die Liebste erst sicher, dass wir seitlich schwojen und nicht die Boote. Dann ist sie sicher, dass die Boote im Takt der chilligen Feierabend-Mucke schwojen. Kichernd stellt sie fest, dass es bei Ihr offenbar schon reicht, wenn am Nachbartisch welche kiffen.
Am eigentlichen Hafen, der sich nach einer engen Schmalspur-Sträßchen-Kurve öffnet, ist die Pierfläche etwas größer.
Hier steht ein richtiges Haus. Das Restaurant hat die Tische direkt vor den Booten. Die Kellner*innen tänzeln mit den Leckereien aus dem Haus, über das Sträßchen, zu den Tischen. Über dieser Hafenszenerie hat sich eine Reihe niedlicher Häuser versammelt, – allesamt verputzt in diesen Italo-Pastellfarben, die unwillkürlich gute Laune machen. Vielleicht auch deshalb, weil sie sich vor dem Hintergrund des tiefblauen Himmels einfach gut machen. Sie haben genau den Verwitterungsgrad, der den Eindruck noch malerischer macht. Vor den Häusern müht sich in engen Serpentinen ein Sträßchen aufwärts, schleicht an plötzlich den unschlagbaren Blick auf’s Meer freigebenden Torbögen vorbei, wirft einen schnellen Gruß in eine schattige Bar an einer kleinen Piazzetta und erreicht schließlich die Piazza. Das eigentliche Zentrum dieser Idylle. Das Hauptgebäude eine Art Schloss, das jetzt municipio ist und zugleich museo. Rechts und links davon und gegenüber: Läden, Cafes, Restaurants. Die Piazza lebt. Morgens Menschen, die irgendwas besorgen, auf ein Schwätzchen unter Bäumen bleiben, weiterziehen, verwitterte Einkaufsbeutel oder diese noch immer unvermeidlichen dünnen Plastikbeutel schwenkend. Mittags tiefe Stille. Einige Übriggebliebene drücken sich in die letzten Reste von Schatten, biegen die Köpfe in ihre Handys, sitzen da und tupfen ab und zu die Stirn, lehnen sich an eine etwas kühlere Wand, einen Fuß an sie gewinkelt und dösen.
Abends belebt sie sich wieder. Die Menschen sind fein gemacht. Vor dem Buchladen stehen ein paar Stühle. Zwei Männer vorne reichen ein Mikrophon hin und her, stellen ein Buch vor. Auf der anderen Seite: Passegiata. Man zeigt sich, man guckt, man trifft sich, man redet. Vielleicht holt man sich zwischendurch ein Eis. Mittendrin und drumherum und davor und dahinter – einfach überall: Kinder, Bälle, alle möglichen Arten von Fahrzeugen, alle möglichen Arten von spielerischem Umgang damit. Angesagt zurzeit: Kleine, zweirädrige, blinkende Batterie-Rollgefährte. Die Coolen stehen drauf. Die noch nicht so Geübten fahren es erstmal nur im Knien. Man steuert nur mit Gleichgewichtsverlagerung. Im Hintergrund ein dauerbelagerter Kicker. Hauptsache aber: Der Ball. Fußball. Unzählige Varianten von Spiel damit. Improvisierte Tore. Im Zweifel das Eingangsportal zur Kirche. Dass hier nicht dauernd irgendwas zu Bruch geht, – ein Wunder. In allen Ecken in Gruppen stehend, sitzend, plaudernd, einfach schauend: Die Eltern. Ab und zu ein mahnender Ruf, wenn z.B. die Kleine mit dem Kinderfahrrad im kitschigsten Rosa aller Zeiten und allerlei Plastik-Schnickschnack doch etwas zu dicht an das am Rand vorbeiführende Sträßchen heraneiert. Möglich all das durch nichts anderes als, – Stühle. Ja, Stühle! Auf der Piazza stehen immer stapelweise Plastikstühle bereit. Wenn man keine Lust hat, auf den Stufen zu dem kleinen Mahnmal zu sitzen oder auf dem Rand von einem der Blumenkübel oder auf dem Bordstein, nimmt man sich einen, stellt ihn zu den anderen, bildet Kreise, Halbkreise, chaotische Haufen. Die kleinen Kickerspieler nehmen sie, um sich draufzustellen, weil sie sonst nicht an die Griffe kommen. Ab und zu braucht auch eine weiß gekleidete Piazza-Schönheit mit Gigolo im Schlepptau den Stuhl um mit ihrem süßen kleinen Schoßhündchen „Spring drauf! Na komm! Spring drauf!“ zu spielen und dann wieder runter.
Die Menschen, denen wir begegnen, könnten allesamt Protagonisten sein in der Danella-Italo-Schmonzette. Hauptfigur: Enrico. Schon beim Versuch wegen drohendem Starkwind einen Hafenplatz für zwei Tage später zu bekommen, lernt die Liebste ihn kennen. Am Telefon. Er antwortet knapp, fragt nicht nach Länge, Breite und Tiefgang unseres Schiffes und sagt einfach „vieni!“. Uns ist das nicht so richtig geheuer und deshalb ruft sie gleich nochmal an. Dieselbe karge Wörternutzung. Ob der Platz securo sei. Si, si securo. Auf dem Törn dorthin wetten wir. Die Liebste sagt, wir kommen da nicht rein. Ich denke es auch, aber wette dagegen. Sonst haben wir ja keine Wette. Kurz vor dem Hafen erneut ein Anruf. Wir gucken uns erstaunt und erleichtert an. „Ja. Kommen Sie. Ich hole sie in der Hafeneinfahrt mit dem Schlauchboot ab.“ Der erste Versuch scheitert, – einfach weil wir an der Hafeneinfahrt vorbeidampfern. Sie ist so klein, dass man sie leicht übersieht. Also zurück. Und da steht schon das Schlauchboot. Darauf breitbeinig Enrico. Er winkt. Als wir zurückwinken, dreht er mit Schwung um und gibt uns Zeichen, wie wir die Einfahrt angehen müssen. Unmittelbar nach der Einfahrt selbst drehen wir im 90-Grad-Winkel nach rechts. Enrico vorneweg. Er zeigt uns die Stelle, wo wir liegen sollen. Mit dem Bug vorneweg. Langsam tuckere ich darauf zu. Hoch angespannt. Ich erwarte ziemliches Getrickse beim Eindrehen in den „Parkplatz“. Plötzlich merke ich, wie sich das Schiff wie von Geisterhand dreht. Enrico und ein weitere Helfer in einem Schlauchboot schieben und drehen das Schiff. Haben es eigentlich übernommen. Wir machen nix mehr, außer zwei Leinen an Land zu werfen, die wiederum von zwei Helfern entgegengenommen werden. Selbst die Mooring müssen wir nicht selbst anbringen. Das macht der Mann aus dem zweiten Schlauchboot. In Windeseile ist das Schiff fest. Wir haben so gut wie nichts dazu beigetragen. Wie im Film. Dann der Höhepunkt der Szene. Einer der Männer legt eine breite und dicke Holplanke auf den Bug unseres Schiffes und auf die Pier. Eingeklemmt zwischen einem Poller auf der Pier und unserer Bugklampe.
Die zweite Film-Figur: Pietro.
Ein vielleicht 10-jähriger Junge schlurft heran. Blaue Shorts, blaues T-Shirt, blaue Flipp-Flopps. Ein ernstes und zugleich offenes Gesicht. Eine fulminante sehr dunkelbraune Lockenmähne, die er ab und zu mit einem kurzen Zucken zu Seite wirft, wenn ein Windchen sie ihm zu sehr ins Gesicht gewirbelt hat. Er erklärt uns irgendwas, was sich auf die Klampe bezieht. Auf ein Bändsel, das am Ende schlonkert. Wir verstehen nicht, was er meint. Einem der Helfer von vorhin dauert das zu lange. Er steigt auf’s Schiff und bändselt kurzerhand die Holzplanke an einer Relings-Stütze fest. Unsere Gangway steht. Der Junge schlurft von dannen.
Wir steigen ab, wollen in die Bar gegenüber, wohin Enrico uns zum Bezahlen geschickt hat: Das Schiff anmelden, bezahlen und in aller Ruhe einen Espresso nehmen.
Die nächste Hauptfigur der Danella-Italo-Schmonzette tritt auf: Marcella. Die Schwester von Enrico. Sie steht tief im Schatten der Bar an der Theke, hat Anthea auf dem Arm, ihre kleine, vielleicht ein knappes Jahr alte Tochter. Wo der Chef sei, frage ich sie, wir wollten den Liegeplatz bezahlen. Direkt der erste Fettnapf. Die Chefin der Bar ist sie. Sie wirft ein paar Haare aus dem Gesicht, lächelt überlegen und sagt, wir müssten bei Enrico bezahlen. Der sei dahinten. Dabei geht sie an uns vorbei zum Eingang, biegt den Kopf heraus, damit er bloß nicht zuviel Sonne abkriegt und ruft mit entschiedener Schärfe und einem Hauch von Gianna-Nannini-Kratzen: Enrico! Und gibt ihm mit Daumen und Zeigefinger zu verstehen, dass hier Geld fließen soll. Ich sehe ihre Geste, schaue ihr ins Gesicht. Ob sie sich ein wenig ertappt fühlt? Sie schaut mich stolz an. Ein leichtes Zucken der Augenbraue. Ein Hauch von Ironie. Das alles sagt: „Ja was??!!“ Geht doch um Geld, oder??!! Also!!“.
Enrico gibt uns zu verstehen, dass wir genauso gut beim Abfahren bezahlen können. In allen anderen Häfen war das Anmelden und Bezahlen ein Verwaltungsakt, der fast der Beantragung eines neuen Personalausweises gleichkam. Da mussten die Schiffspapiere studiert, Namen buchstabiert, Herkunftshäfen genannt, Schiffsdaten genannt, die Registrierungsnummer gesucht werden. Letzteres gar nicht so einfach. Die Schiffspapiere enthalten unzählige sehr wichtig aussehende Nummen. Das alles muss dann mit zwei Fingern, in denen offenbar noch die Erinnerung an alte Schreibmaschinen steckt, in ein Computerformular einhämmert werden. Hier: Lässig. Keine Formulare. Bezahlen beim Abfahren. Begleitet von der dazugehörigen locker hingewunkenen Geste.
Wir bestellen Espresso, Aqua, Torta und sammeln weiter Protagonisten: Vicenze. Wirkt eher nicht wie ein Kellner, eher wie ein noch nicht ganz ausgeschlafener Intellektueller. Er bringt etwas staksig und künstlich unsere Bestellung. Anschließend verdrückt er sich wieder in den Schatten und schiebt den Kopf so tief in sein Handy, dass man merkt, wie sehr er sich freut, wenn eher wenig Gäste kommen. Während wir uns über Kaffee, Wasser und Kuchen hermachen, stehen Marcella und Anthea in unserer Nähe. Die Liebste bricht das Eis. Sie fragt die Mutter, ob die kleine schone anfange zu sprechen. Es folgt ein lebendiger Vortrag. Ja zuerst „Papa“, leider, schon ein bisschen traurig. Man möchte ja … aber dann doch irgendwann Mama. So schön! Sie macht es ein paarmal vor, wie die Kleine Mama sagt. Jede Variante ein kleines Lied. Die Melodie hüpft so hoch beim a, dass man unwillkürlich mit abhebt.
Dann Giosi. Eine füllige junge Nachbarin, deren Brille aufs Netteste ihren jeweiligen Gesichtsausdruck verstärkt, weil er mit viel Gesichtsbewegung verbunden ist. Sie springt fast aus dem Gesicht, als sie auf Anthea zugeht. Sie nimmt Anthea auf den Arm. Anthea gefällt das offensichtlich, denn sie lässt sich bereitwillig in den Kinderwagen setzen. Danach drehen die beiden eine Runde. Nicht weit weg. Denn man hört Giosi immer wieder mal singen. Dass Enrico die Hauptfigur in diesem Szenario ist, merkt man auch daran, dass immer mal wieder einer von irgendwoher, meist von einem Boot aus lustvoll „Enrico“ ruft. Mit freudigem Schwung hüpft der Klang zum i hinauf und schwingt dann beim o sanft aus.
Es folgt: Giro. Er ist hier der Macher. Er war beim Anlegen dabei, räumt herumliegende Schläuche auf, frickelt an einem Außenborder, hat plötzlich gelbe Handschuhe an, erklärt einem Vorbeigehenden, dass er neuerdings öfter Handschuhe anziehe wegen der Allergie (jedenfalls verstehen wir das so …). Auf dem Höhepunkt seiner wichtigen Hafentätigkeiten schnurrt er plötzlich mit einem hoffnungslos überdimensionierten Gabelstapler vorbei. Der passt so gerade zwischen Bar und Restauranttischen durch. Damit bugsiert er einen Stapel Paletten und eine Riesenplastikkiste aus einem der Lagerräume unter den Tuffstein-Bögen. Dann die namenlose Schönheit, die allein im Kaffee sitzt. Schlank und kerzengerade. Sie ist in nicht besonders viel dezentes Schwarz gekleidet. Ernst. Melancholisch. Schweigsam. Pietro dreht inzwischen unablässig Runden mit Enricos großem Schlauchboot. Er steht am Steuerstand, über den er kaum hinwegblicken kann. Also guckt er eher seitlich vorbei. Die Hand muss er heben, um an den Schalt- und Gashebel zu kommen. Mit der anderen Hand lenkt er den dicken Außenborder lässig. Er ist stolz. Und er kann dieses Boot bewegen wie ein Baggerfahrer seinen Bagger nach 20 Jahren Berufserfahrung. Oft muss er andere Hafenjungs irgendwohin fahren, wo sie vom Boot aus irgendwas zu erledigen haben. Einer von ihnen scheint so eine Art Ziehvater von Pietro zu sein. Er ist fast immer bei ihm. Erklärt. Zeigt. Macht vor. Lässt nachmachen. Er redet nie. Scheint es. Und er ist im wahrsten Sinne des Wortes: Cool. Er spielt das nicht. Er tut nicht so. Er hat nicht ein paar nichtsnutzige Assecoires um cool zu wirken. Nein, er ist es. Genetisch. Vegetativ. Er scheißt auf Freundlichkeit. Er grüßt nicht. Aber nicht aggressiv. Es ist einfach nicht wichtig. Er ist eben cool. Und die Sonnenbrille auch. Nicht weil sie RayBan ist oder irgendeine andere In-Marke. Nein. Auch das unwichtig. Die Haltung. Das Sein. Das macht cool. Nein. Nichts macht cool. Man ist es oder eben nicht.
Ach ja, – und Emilia. Sie ist die ältere Schwester von Anthea. Sie ist vielleicht 7. Sie sitzt mit zwei Freundinnen am Tisch. Alle drei wären gerne größer, denn sie haben ihre Beine irgendwie unter das andere gewinkelt, damit sie höher sitzen. Oder sie knien gleich. Mädchengeplapper. Die eine will irgendwas erzählen. Emilia hält sich theatralisch die Ohren zu und schimpft: „Non è vero. Bla bla bla. Non è vero! Bla bla bla“. So lange, bis die anderen einfach gehen. Ihr scheint das egal. Sollen sie doch. Sie ist schon jetzt ein schönes Abbild von der Mutter Marcella.
Wenn wir noch zwei Stunden sitzen hier würden, hätten wir die Figuren und ihre Episoden für die ersten zwei abendfüllenden Spielfilme zusammen.
Und einem Schmonzetten-Drehbuch-Schreibprofi würde es sicher gelingen, die deprimierende Geschichte der Knast- und Konzentrationslager-Anlage auf der kleinen Nachbarinsel ebenso unterhaltungs-verträglich in die Geschichten einzubauen wie die Zisternen, die, bevor sie dann auch zu unterschiedlichen Zeiten aus unterschiedlichen Gründen als Sträflings-Lager genutzt wurden, in römischer Zeit die Insel, aber vor allem eine Villa mit Wasser versorgten. Die Villa der Julia. Sie war 2 vor Christus von ihrem Vater, Kaiser Augustus, hierhin verbannt worden wegen ihres ausschweifenden zügellosen Liebeslebens.
Aber das wäre dann eine andere Danella-Schmonzette.