wochen-5-und-6

Die Wochen 5+6

Stationen:

Ventotene,
Casamicciola – Ischia,
Castellamare di Stabia
(Neapel – Frankfurt – Künselsau – Düsseldorf – Neapel – Castellamare di Stabia),
Capri,
Bucht bei Nerano – Südspitze Amalfi-Küste,
Amalfi,
Porto d’Arechi – Salerno

 

27. August 2018

(Ventotene – Ischia)

Ewigkeiten millimeterweise beieinander,

Teil 2

Der Kummer dem Kichern
Lässige Eleganz der verdreckten Ölhose
Spirituelle Rührung dem profanen Jetzt
Einladendes Lächeln
Der abweisenden Scheißlaune
Gelingen dem Scheitern
Zu wenig Wind zu viel Wind
Leben dem Sterben
– all dies einander
so nah
Wie die Pistazie der Mortadella.

 

27. August 2018

(Ventotene – Ischia)

Das süße Surren der Sirenen säuselt uns ein: „Bleibt doch! So Bleibt doch! Ihr sollt es gut haben. Wir schenken euch liebliche Genüsse aller Art.“
Aber wir segeln weiter.
Weil wir müssen. In ein paar Tagen startet in Neapel ein Flugzeug, das uns zur Beerdigung meines Vaters bringen soll.
Und weil wir wollen. Unsere Reise ist so. Wir werden irgendwo angespült und irgendeine nächste Welle nimmt uns wieder mit.

Also verlassen wir das Schlageritalien-Paradies Ventotene. Wir haben in den Apfel gebissen und kommen dem Rausschmiss zuvor. Die ersten der ungefähr 35 Seemeilen, die wir vor uns haben, verbringen wir eher schweigend. Ab und zu wehmütige Blicke zurück. Ventotene verklingt. Respekt vor den noch immer hohen Wellen und den ausklingenden Resten vom strammen Wind der Tage zuvor. Ab und zu wehmütige Blicke nach vorn. Wir werden meinen Vater beerdigen. Die Trauer fährt mit. Wir merken sie nicht. Nur manchmal schiebt sie sich als bedrückender Umhang um mich, erhitzt den Kopf, verengt den Hals. Fast ein Wunder, dass sie dann auch wieder geht. Bis zum nächsten Mal.
Am Abend laufen wir in Ischia ein. In uns noch die kleine quirlige Beschaulichkeit von Schlageritalien. Und jetzt plötzlich die lässige Eleganz einer mediterranen Urlaubs-Metropole. Ein Kellner, der ein bisschen vor sich hin summt, unsere Blicke bemerkt, und dann mit dem Zauber entspannter Selbstironie über sich selber lacht. Der ein Gespräch mit uns anfängt. Auf Deutsch. Und uns mit geschliffenen Formulierungen erklärt, er habe eine Hotelfachschule in der Schweiz besucht und dort einige Jahre gearbeitet. Noch während ich ihm zuhöre, springen manchmal Bilder von Enrico und Pietro und Marcella in meinen Sinn, lachen und huschen wieder weg. Jetzt, – so sagt der Kellner, beginne eine schöne Zeit. Alles werde etwas ruhiger. Der Trubel gehe und der Sommer bleibe noch.
Ab und zu schreitet kleinschrittig ein mittelalter Mann vorbei. Er ist leicht nach vorn gebückt. Murmelt vor sich hin. Hat einen Gesichtsausdruck, den man nicht deuten kann. Ein bisschen unheimlich. Als könnte jederzeit ein kleiner Gewaltausbruch kommen. Er tritt mehrmals sehr nah an unseren Tisch. Scheint uns anzusehen, aber dann auch wieder nicht. Dann kündet sein Blick eher von einem schieren Schweben in anderen Welten als der unsrigen. Die Kellner hier kennen ihn. Einer wechselt ein paar Worte mit ihm. Auf eine mild respektvolle Art. Der Mann ist einfach dabei. Wir entspannen uns. Die lässige Eleganz nimmt ihn mit.
Wir wollen einen Tag bleiben und fragen den Kellner, der zum Kassieren kommt, was er uns zur Besichtigung empfehlen würde an diesem einen Tag. Er überlegt nicht. Die Aragoner-Burg über Ischia-Stadt. Sie müsse man gesehen haben. Wir kämen von dort hinten mit dem Bus dahin. Lässige ausladende Geste zum „Dort Hinten“. Das italienische „Dort hinten“ erfordert noch mindestens 3 Nachfragen bei Anderen.
So viel Kontakt wie möglich.

28. August 2018

(Ischia)

Wir schlafen uns aus. Und wie! Das mehr als sanfte Plätschern einer großen, gut geschützten Marina schickt uns Schlaf in einer Menge, wie es bisher selten war auf unserer Tour. Manchmal beginne ich schon den Aufstieg aus den Kellergewölben des Schlafes. Dann, meine ich, könnte ich die Sirenen hören, wie sie leise hinter uns her meckern. Und kehre augenblicklich um ins Gewölbe.
Auf dem Weg zur Burg begegnen wir der lässigen Eleganz wieder.

Ischia Kai Stadtmitte

Doch sobald wir den steinernen Zeugen vieler Zeiten – die Aragoner-Burg, die uns der Kellner empfohlen hatte – zum ersten Mal gesehen haben, tritt die Eleganz zurück. Macht Platz für die Magie eines besonderen Ortes.

Ischia Aragoner Burg Ansicht von der Stadt aus

Wir gehen zu dem Aufzug, der uns in das Burggelände bringen soll. Die Türen schieben sich auf und eine junge Frau, die ihrem, sagen wir: Durchaus bedingt interessierten Freund aus dem Reiseführer vorgelesen hat, stoppt ihren Vortrag. Er war auf Deutsch. Wir bitten sie weiterzulesen. Sie freut sich und liest weiter. Auch draußen noch vor dem Aufzug. Sie hat soviel Vergnügen daran, dass sie gar nicht aufhören mag. Es ist so schön das zu sehen, dass wir auch keine Anstrengungen unternehmen, uns aus der Situation zu stehlen. Ihr, wie sagten wir?: Freund steht dabei. Er hat große Ähnlichkeit mit Peter Lohmeyer. Sein längliches Gesicht könnte Langeweile zu bedeuten haben. Könnte aber auch sein, dass er einfach vergessen hat, seinen Gesichtsausdruck seinem inneren Interesse angepasst zu haben. Schließlich trennen sich unsere Wege dann doch. Sie sollen sich noch ein paarmal kreuzen. Dann jedes Mal sehen wir einander verändert. In unseren Gesichtern ein stilles, respektvolles Staunen. Immer weniger Worte. Und die immer leiser. Niemand von uns möchte all die Geschichten verschrecken, die uns hier umwehen. Und die uns ein wenig mit ihnen mitwehen lassen. Hier haben Menschen gelebt, gelitten, geliebt, gekämpft, gebetet, haben es umsonst getan, sind erhört worden, haben Geist und Seele hinterlassen. Und wir dürfen es spüren. Auch die Liebste und ich reden kaum. Wir dürfen frei in dieser verlassenen Burg-Stadt herumlaufen. Wir finden herrschaftliche Orte,

Ischia Aragoner Burg Herrschaftliches Gebäude

stille Gassen aus grobem Kopfsteinpflaster,

Ischia Aragoner-Burg Kopfsteinplaster

Kapellen,

Ischia Aragoner Burg Kapelle

kleine Gemächer, Gärten, Gärtchen. Selbst das Cafe, in dem wir unseren Aufenthalt hier beginnen, atmet berührte Heiligkeit. Was erzählt die Taube von alten Zeiten, altem Glück, altem Leiden? Ich mag eigentlich Tauben eher nicht, aber dieser hier möchte ich unbedingt zuhören.

Ischia Aragoner Burg Taube auf Cafe-Dach

Wir steigen hinab in dunkle Gewölbe. Unten umfängt uns heiliges Weinen. Nimmt uns mit. Noch tiefer hinein in die Spiritualität dieses Ortes. An Felswände sind steinerne Sitzplätze mit Armlehnen gebaut. Stühle wie Skulpturen vom Steinmetz. Die Nonnen, die einst in den Gemächern oben lebten, setzten hier hinein Ihre Toten. Dort saßen sie bis nur noch Knochen von ihnen übrig waren. Abend für Abend kamen die Lebenden zu ihnen. Saßen bei ihnen. Meditierten über den Tod. Vielleicht weinten sie. Vielleicht schluchzten sie. Vielleicht weinten sie still mit ertrinkenden Augen, so wie wir jetzt. Gerade wollen die Tränen sich doch ausschütten, stürmt Lärm die Treppen hier herein. Eine scherzende, lachende, plappernde Gruppe älterer Italiener*innen poltert herab. Wenn ich drüber nachgedacht hätte, hätte ich mich das nie getraut. So aber gehe ich ihnen entgegen. Sage mit energischer Leisheit: „Signori! Per favore!“ und drücke den Zeigefinger gegen die Lippen. Sie hauchen einen kurzen Blick um sich herum, verstehen, – … und verstummen. Jedenfalls kurz. Dann kichern sie leise und reden zischelnd. Meine feuchten Augen lächeln: Immerhin ein Versuch von Respekt. Vielleicht haben ja auch die Nonnen, die hier meditierten, manchmal gezischelt und leise gekichert. Manche von denen, die da leblos wie lebend saßen, waren sicher auch lustige Zeitgenossinnen.
Wir wissen nicht, wie viele Stunden wir hier schon meandern. Jedenfalls mehr als wir Worte wechselten. Ein falscher Vergleich, natürlich. Und doch stimmt er. Langsam lösen wir uns wieder heraus aus diesem Gefilde. Wie ein Salzkorn, das auf einem Stück Holz vom Meer erzählt.
Immer wieder fangen wir an von dem zu erzählen, was wir da gerade erlebt haben. Und sind froh, dass wir am Abend in „unserem“ Cafe jenem Kellner danken können für seinen schönen Rat. Wir wissen nicht, wie, aber dass: In dem verwirrten Mann, der auch heute wieder da ist, lebt etwas von da oben.

29. August 2018

(Castellammare di Stabia)

Als wir uns in den frühen Morgenstunden wieder auf den Weg machen, schauen wir erst wieder mehr zurück als nach vorn. Der Morgendunst hat die Aragoner-Burg auf Ischia, die wir gestern erleben durften, sanft eingehüllt, als wolle er sie vor dem scharfkantigen Tun des hellichten Tages schützen. Fast bin ich froh, dass ich schreibe und Fotos mache. Sonst könnte dieses Heiligtum sich womöglich selbst aus profaner Erinnerung tilgen, um sich zu schützen.
Je mehr die Burg sich im Hintergrund versteckt, um so klarer werden die Konturen von Castellammare di Stabia. Und umso klarer wird, dass wir uns dem Gegenentwurf zur Idylle nähern, aus der wir kommen. Große Gebäude, Werfthallen, Kräne, dichte Bebauung. Aus 5 Meilen Entfernung noch beeindruckend. Mit jeder Meile, die wir näher kommen, sehen wir deutlicher: marode Melancholie. Offenbar segeln wir gerade in die Città von der traurigen Gestalt. Dass es irgendwie passend ist, dass hier unser Schiff vier Tage liegen wird, wenn wir zur Beerdigung meines Vaters aufbrechen, – diesen Gedanken haben wir und finden ihn kitschig. Umgekehrt romantisch. Eigentlich Blödsinn. Aber er stimmt ja doch auch.
Der Mann, der uns am Steg empfängt und einweist, passt zu dieser Melancholie. Auf schöne Art. Er ist ernst. Schweigsam. Sucht Blickkontakt mit einem Hauch von Lächeln. Er ist vielleicht 50-55 Jahre alt. Sein Gesicht erzählt von Schmerz, aus dem er aufgetaucht ist. Sein Hund, der wie ein treuer Stegbegleiter ihm folgt, hat ihm bestimmt dabei geholfen.
Wir zwei traurige Gestalten durchstreifen diese Stadt ein wenig. Diese Art von Bewegen kennen wir nicht. Es ist kein Besichtigen, kein Schlendern, kein Flanieren. Es ist ein hilflos schwimmendes Treiben. Wie zwei alte Stücke Holz in brackigem Hafenwasser mal hier, mal da hin schwappen. Vor die Reste eines Festmachers an einem verrosteten Ring und von da wieder zurückgeschubst. Diese Stadt hat es nicht verdient, besichtigt zu werden. Sie hat Besseres verdient. Respektvolle Begegnungsversuche. Vorsichtiges Betrachten der Narben. Noch vorsichtigeres Betrachten der Stellen, die noch davor sind Narben zu sein. Große, rissige Löcher im Putz der Basilika.

Castellammare die stabia Basilika

Castellammare di Stabia Basiklika Heiligenfigur

Castellammare di Stabia Basilika Leuchter

Außen und innen.

 

Castellammare di Stabia alte Landungsbrücke

Hohläugige Reste alter Landungsbrücken. Boote, die die Seele schon verkauft haben und mutlos in alten Seilen hängen. Straßenbahnschienen, die im Asphalt enden und zu nichts dienen, als von Zeiten zu erzählen, in denen man hierhin wollte. Zierlose Kübel, in denen selbst das Unkraut vertrocknet ist. Große Wohnhäuser mit Balkongittern aus Rost, in denen sich das leise Wimmern der noch verbliebenen Putzreste mischt mit Kinderkichern, Radioschrebbeln, Prontorufen, Platzlachern, Lustschimpfen. In der verfallenden Basilika zünden wir zwei Kerzen an. Das heißt hier: Wir legen einen kleinen Kippschalter um und zwei schräg dahinter liegende Birnen auf Stümpfen im Kerzenlook glimmen auf.
Mir fällt eine Szene aus Nettuno wieder ein. Noch recht früh am Morgen saßen wir im Cockpit. Dann ein Motorengeräusch. Wir drehten uns um. Eine xhundert-PS-Schwanzverlängerung mit aggressiv vorgestrecktem Bug bubberte gerade frisch geputzt aus dem Hafen. Am Steuerrad ein Rolex-Glatzkopf, leicht vorgebeugt. Nestelte am Handy. Wahrscheinlich wollte er vor der Arbeit noch mal schnell raus, – `ne Runde Meer ficken. Kurz nach ihm in umgekehrter Richtung: Ein Fischer kehrte heim von der Arbeit. Er stand auf seinem kleinen Kutter, trug noch die alte verdreckte Ölhose, die ihm bis zur Brust reicht und die ihn wie immer davor geschützt hatte, beim Einholen der Netze klatschnass zu werden. Genau auf unserer Höhe drehte er sich zur Kirche, bekreuzigte sich und drehte sich wieder zurück. Wir winkten ihm mit kleiner Bewegung. Er winkte zurück.

Castellammare di Stabia herumliegende Gegenstände

Wir wollen beim Herumstreifen auch nach einem Supermarkt gucken. Wir sehen keinen. Also wollen wir fragen. Aber selbst das ist schwierig. Kaum jemand ist zu sehen. Dann doch eine Dame, die ihren Hund ausführt. Ja, sie kenne einen Supermarkt, nicht sehr weit weg, bezweifle aber, dass er jetzt schon auf sei. Es ist 5 Uhr nachmittags. Aha, die Grenze zwischen Mediterranien und Mezzogiorno verläuft also irgendwo zwischen Ischia und Castellammare di Stabia. Immerhin erfahren wir den Namen des Hundes: Maccenuto. Die Dame spricht ihn häufiger an. Als wäre er Teil unserer Konversationsrunde.
Wir trudeln in eine Bar. Sie ist schmucklos, kühl, sachlich. Längs durch den schmalen Raum hindurch eine Theke. Am Anfang ein Zigarettenregal, dann die Kaffeemaschine. Dahinter rechts der sinnlos vor sich hin dudelnde Fernseher. Eine Vitrine mit drei heimatlosen Cornetti. Ein Stückchen weiter ein offenes Hinterzimmer mit Spielautomaten, Daddelkisten, die regelmäßig kleine Lockmelodien in die Bar kullern lassen. Suchtbude. Der Espresso-Mann ein smarter, schick frisierter, bodygebildeter, muss noch erwähnt werden: tätowierter? Mann. Seine Bewegungen haben lustvollen Schwung. Jede Geste Teil eines Tanzes. Wie der Ellenbogen ausschwingt, wenn der Arm den Kaffeepulver-Träger am Griff über einen Widerstand hinweg zum Einrasten bringt. Wie die Finger zielsicher zum Stapel der schweren Tässchen schwirren und eine von ihnen unter den doppelläufigen Ausfluss fliegen lassen. Der Espressotango des Kaffeemachers scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein zu der maladen Stadt. Am Abend aber, als die Menschen ins bunt beleuchtete Dunkel mit buntem Glimmer-Zuckerguss schwirren, essen, plappern, lachen, verstehen wir: Der Espressotango war ein kleines Vorspiel zum abends erwachenden Leben hier. Eine sterbenslebendige Stadt verschluckt zwei lächelnd ratlose Touristen von der traurigen Gestalt.
Die sich die Frage nicht mehr stellen, ob sie sich diesen Reise-Gewaltakt Flug-Leihwagen-Hotel-Beerdigung-Auto-Rückflug wirklich antun wollen. Denn die Antwort war ja schon tausendmal und überzeugt: Ja. Dass wir die Frage trotzdem immer wieder von neuem stellen, ist Angst. Und dass wir sie immer mit Ja beantworten, ist richtig. Wahrscheinlich gerade wegen der Angst.

30. August 2018

(Castellamare di Stabia – Napoli – Frankfurt – Künzelsau)

Wir brechen auf zu unserer riesenkleinen Trauerprozession.

Bordkarte Neapel

Ich glaube, ich habe das Starten eines Flugzeuges, bei dem ich immer schon überbordende Angst habe, noch nie so sehr als brachialen Gewaltakt empfunden.
Der Versuch, das, was in diesen zwei Tagen geschieht, zu beschreiben, kommt mir vor wie Blasphemie gegenüber der heiligen Wirklichkeit von Leben und Sterben. Es gibt das. Das muss reichen. Worte machen kleiner. Denke ich.

Todesanzeige

 

01. September 2018

(Künzelsau – Düsseldorf – Napoli – Castellammare di Stabia)

Als wir wieder zurück sind von der Beerdigung meines Vaters, schreibe ich nur ein paar Stichworte in mein Logbuch. Die Momente, in denen mein Weinen Anker geworfen hat, auf dass es zurückkehren könne. Und nicht in Vergessenheit gerate.
Da ist ein Pfarrer chinesischer Herkunft. Klein. Mit heller Stimme. Es ist am Anfang schwer ihn zu verstehen. Mein Vater wird zu Grabe getragen. Dies ist seine Messfeier. Und ich verstehe den Pfarrer nicht. Irritation. Dann gewöhne ich mich und verstehe. Und mag sehr, was der Pfarrer sagt. Seine kleine Rede zu Ehren meines Vaters hangelt sich entlang am Text eines Liedes von Martin Gotthard Schneider: Kommt der Tod ins Nachbarhaus. Der Pfarrer spricht überzeugt, leise, hell, wach. Ich fühle den Tod und das Leben meines Vaters wirklich gewürdigt. Das hilft meiner Trauer.
Da ist die Bitte des Pfarrers, jemand möge ihn mitnehmen zum Friedhof. Er würde den Weg nicht kennen. Diese lächelnde Offenheit. So ist das im Leben: Dass man manchmal den Weg nicht kennt. Sogar dann, wenn alle Welt glaubt, man müsste ihn kennen.
Da ist des Pfarrers Wunsch für meinen Vater: Gott möge alle Schuld von ihm nehmen und ihm den Frieden schenken, den die Welt nicht geben kann. „Schuld“, „Frieden“. Diese Worte treffen mich so sehr, dass ich intuitiv weiß: Sie werden mich noch lange weiter begleiten.
Da ist das Klappern der sehr alt gewordenen Tasten der Orgel. Auch eine Art Arthrose. Das Klappern, das dem traurig schönen Choralvorspiel „Jesus bleibet meine Freude“ die Schönheit des Alterns beifügt.

Da ist die Vase unter seinem Zuhause im Columbarium. Da hinein schiebt eine jede und ein jeder eine weiße Rose in ein schönes ovales Gefäß aus silbrigem Metall.
Da ist das Gefühl von Einsamkeit inmitten eines Gebildes, das wir Familie nennen. Das mehr Wunsch ist als gelebte Wirklichkeit. Das jetzt in den vier Wochen, in denen es galt, Gerd und seine Frau auf diesem letzten Weg zu begleiten, in einem Maß gelebte Wirklichkeit war, wie man es sich kaum hätte vorstellen können. Mit einer Innigkeit und einer Wärme, die die Sehnsucht, es möge öfter so sein, noch vergrößert hat. Wie schön, dass es bei uns allen zumindest diese Sehnsucht gibt. Aus ihr kann etwas wachsen.
Auf dem Rückweg in unsere Reise sind wir zum Glück nicht allein. Tochter Katharina und ihr Bald-auch-offiziell-Mann begleiten uns. Wir alle sind ernst, geschäftig, vorfreudig.
Ich bin auch skeptisch. Wo wir die beiden jetzt hinbringen- die città von der traurigen Gestalt, – das ist nicht gerade das klassische Yacht-Urlaubs-Paradies. Im Gegenteil.
Und hat doch Charme. Wir haben ein Restaurant ausgesucht in der Nähe, wo wir am Abend essen wollen. Es hat Tische malerisch zwischen dem alten Gebäude und der Basilika. Als wir Platz nehmen, müssen Ulrike und ich lachen. Wir bekommen eine Speisekarte gereicht, die wir kennen. 3 Tage zuvor hatten wir dieselbe. Nur nicht hier, sondern in einem sehr einfachen Laden. Papiertischdecken, Plastikbecher. Klamotten auf’n Tisch. Mampfen. Fertig. Die Karte ist ein schon angegilbtes Din-A4-Blatt, doppelseitig bedruckt, in eine Prospekthülle geschoben, die Hitze und Dauergebrauch schon so labbrig gemacht haben, dass man ihr den Schutz, den sie bieten soll, nicht mehr abnimmt.
Hier ist alles edler, langsamer, gediegener. Aber das Essen offenbar dasselbe. Wir sind gespannt. Der Kellner hat eine ähnliche Ausstrahlung wie Salvatore, der uns auf dem Steg empfangen hat. Und er hat Ähnlichkeit mit Harry Dean Stanton, dem männlichen Hauptdarsteller in Paris, Texas. Beides Figuren von der traurigen Gestalt.
Wir haben gerade bestellt, da kündigt sich Unheil an. Blitze. Donner. Windstöße. Als es anfängt zu regnen, ziehen wir hastig um ins Innere. Kurz danach tobt draußen schon ein Wolkenbruch. Der Kellner beruhigt uns. Das ist schnell vorbei. Das dauert höchstens cinque minuti.
Der Liebsten fällt ein, dass die Deckenklappe in der Bugkabine ja undicht ist und sie darunter noch ihr I-Pad liegen hat. Manchmal bin ich edler Ritter und biete an zu gehen. Ich frage die Restaurant-Chefin, ob sie vielleicht einen Schirm habe. Ja, ja, sogar einen schönen großen. Im Auto. Da unten. Schon zwirpt sie das Gefährt mit der Fernbedienung auf, sicher im Trockenen stehend. Als ich das Auto durch den knöchelhohen Sturzbach, der inzwischen den Durchgang zwischen Haus und Basilika hinabschießt, und durch 10 Meter schirmloses offenes Gelände erreicht habe, bin ich schon klatschnass. Erst recht, als ich mit dem Riesending von Schirm an dem Durchgang zu unserem Steg hängenbleibe. Die undichte Bugklappe schickt tatsächlich Nässe aufs Bett und auf das i-Pad. Ich kann ein bisschen sichern. So hat es sich wenigstens gelohnt. Wieder zurück, kommt der zweite Gang. Es schüttet immer noch. Erst nach dem Dessert hört es auf. Ich sage zum Kellner, das seien aber lange 5 Minuten gewesen. Wir lachen alle mit Lust. Inzwischen sind wir mit diesem Ort tatsächlich irgendwie befreundet.
Noch bleiben wir, denn wir wollen morgen von hier aus Pompeji besuchen. Das war eine unserer ganz wenigen absoluten Festlegungen vor unserer Reise. Hier wollten wir unbedingt hin. Und von hier, von Castellammare aus sind es nur 2 Stationen mit dem Zug. Sagt Gianlucca. Es sind aber italienische 2 Stationen. Das heißt: in Wahrheit 5.

02. September 2018

(Pompeji)

Salvatore hat uns angeboten, uns zum Bahnhof zu fahren. Wir sollen einfach Bescheid sagen, wenn wir soweit sind. Er sei ja da.
Vorher möchte ich unbedingt noch einen kleinen „Altar“ fotografieren, den jemand mitten im Hafen liebevoll gestaltet hat und pflegt.

Castellammare di Stabia kleiner Altar am Yachthafen

Als ich die Kamera runter nehme, kommt Salvatore vorbei. Ganz der joviale, naive, neugierige, ein bisschen aufdringliche Tourist frage ich ihn leutselig, was es mit diesem Altar, … und möchte am liebsten abbrechen, denn sein Gesicht wird grau und leer. Meins wahrscheinlich auch. Er erklärt leise, dieser Altar sei für seinen Sohn. Der sei als kleiner Junge 1996 hier im Hafen ertrunken. Er habe gespielt, sich den Kopf gestoßen, sei bewusstlos geworden und ins Wasser gefallen. Mit allem, was ich habe zusätzlich zu den paar Brocken Italienisch, versuche ich ihm mein Mitgefühl auszudrücken. Wir sind beide verlegen. Er rettet sich damit, dass er ein paar trockene Blätter aus seinem Altar pickt. Ich stehe da …
Salvatores Angebot, uns mit seinem Auto zum Bahnhof zu bringen, wenn wir nach Pompeji aufbrechen, nehmen wir gerne an.

Castellammare di Stabia mit dem Auto durch die Stadt

Als wir alle im Auto sitzen, hat sich längst das Leben wieder breitgemacht. Er surrt die Scheibe herunter, dreht das Radio voll auf und macht dem Hafen und verschiedenen Menschen hier seine Aufwartung. Wirft Rufe zur anderen Straßenseite. Bleibt kurz stehen um ein paar Worte mit einer Person im Eingang einer Bar zu wechseln. Dreht das Radio leise, dreht es wieder laut, lässt uns am Bahnhof aussteigen und hat sich so schnell umgedreht und wieder in Fahrt gesetzt, dass es nicht möglich gewesen wäre, ihm Geld zu geben für seine Hilfe. Ich bin sicher, er hat gewusst, dass ich mich frage, ob ich das nicht eigentlich müsste und wollte es unbedingt vermeiden.

Ob es die Vorstellung ist, dass diese Stadt mitten aus dem Leben heraus vom Vesuv brutal auf „Stop“ gestellt wurde und wir nun sie ansehen, als wäre es gerade passiert? Oder ist es die Tatsache, dass so Vieles so gut erhalten ist, dass man hier wirklich städtisches Leben vor 2000 Jahren fühlen kann? In allen Facetten.

Pompeji Steinblöcke auf der Straße

Z.B. „Straßenverkehr“. Ich höre geradezu das Rumpeln der Holzräder auf diesem Pflaster. Wir rätseln lange, was diese Erhöhungen in dem Straßenpflaster sollen. Sie wirken wie ein steinerner Zebrastreifen. Schließlich einigen wir uns darauf, dass sie dazu dienten die Straße zu überqueren ohne sich in der Kloake, die sie ebenfalls war, die Füße zu versauen.
Z.B. kleine Läden entlang der Straßen. In manche der gut erhaltenen „Theken“ sind in Reihe und Glied Tongefäße eingelassen, von denen man nicht weiß, welche Funktion sie hatten.
Z.B. der Wellness-Tempel, die Arena, die schicke Villa am Stadtrand, die kleinen Wohnungen in Nebenstraßen, die Verwaltungsgebäude. Alles gestern noch belebt und in Gebrauch.
Uns alle nimmt dieses Gelände mit auf eine berührende Zeitreise. Na ja, nicht ganz alle. Manche treiben auch hier und da morbiden Schabernack.

Pompeji Selfie mit Schädeln

„Uns alle“ sind Hunderte von Besuchern, deren Gewimmel das Staunen manchmal etwas zerfleddert.

Pompeji Besuchermassen

Andererseits ist es schön. Uns alle verbindet offenbar etwas. Vielleicht die Ehrfurcht vor der wirklich gelebten Geschichte. Und es ist schön, weil heute der Tag ist, an dem es keinen Eintritt kostet, dieses Gelände zu besuchen. Ein Geschenk für „Uns alle“.
Bei der Rückkehr führt uns unser Fußweg wieder durch die città von der traurigen Gestalt.
Morgen wird uns der Weg wieder von ihr weg führen. Wir werden sie mit Sympathie in Erinnerung behalten, diesen Ort, von dem wir erst dachten, sein malades Dasein würde uns zusätzlich betrüben.
Jetzt dagegen erwarten wir es ganz anders. Uns erwartet italienische Postkarten-Idylle par excellence. Capri. Amalfi. Was für klangvolle Namen, die jedem winterlichen blassgesichtigen Italien-Fan in unserem Heimatland Seufzer des Entzückens entlocken.

03. September 2018

(Capri)

Entzücken, – wir kommen. Auf dem Weg nach Capri erleben Katharina und Stefan richtiges Segeln. Mit Schräglage, mit den Geräuschen von Winschen, Rollen, Tuch und Tauen. Und mit herrlichen Blicken auf die Insel, der wir uns in schon rötlich werdendem Spätnachmittags-Licht nähern.
Und dann erleben wir den umgekehrten Castellamare-Effekt. Wir freunden uns ab.

Capri überfüllte Hafeneinfahrt

Unfassbar viel Verkehr in der Hafeneinfahrt. Protzige Edelyachten, kleine Ausflugsboote, große Schnellfähren veranstalten hier einen Betrieb, der arg dem Gedränge vor dem Kirmeslokus ähnelt. Und es geht so weiter. Die Mitarbeiter im Hafen, die uns wie üblich empfangen, sind arrogant. Kein freundliches „Salve!“. Nur irgendein knurriger Laut, den man mit viel phantasievoller Menschenfreundlichkeit als Begrüßungsfloskel deuten kann. Wenn es nicht doch einfach nur ein Rülpsen war. Man steht gelangweilt mit einer unserer Heckleinen am Steg und macht sie mit einem Palstek am nächstbesten Ring fest, damit man nicht umständlich die ganze Heckleine durch den Ring ziehen und uns das Leinenpaket zurückgeben muss. Wie es sich eigentlich gehört. Man drückt noch ein paar Anweisungen unter der Spiegelsonnenbrille weg – Hafenbüro, Papier, elektronischer Stromanschluss-Schlüssel, Toiletten – und schlurft grußlos weg. Trotzdem machen wir uns mit postkartiger Vorfreude gegen Abend auf einen ersten kleinen Gang aus dem Hafen. Mitten im entspannten Hafentreiben ein paar Schritte gehen mit einem leckeren Eis in der Hand. Anschließend mit Blick auf die obligatorischen roten und grünen Leuchtfeuer in der Hafeneinfahrt einen leckeren Aperitif nehmen und die Nachfreude über einen schönen Segeltag genießen.
Nix wird draus.
Die arroganten Ormeggiatori haben uns am äußersten Ende des Hafens geparkt. Wahrscheinlich, damit wir mit unserem lächerlich kleinen, obendrein auch noch von weitem als Charteryacht erkennbaren 10m-Segelboot den Anblick der frisch geputzten mindestens doppelt so langen und längeren Angeber-Dampfbügeleisen nicht stören. Endlich aus dem Hafen raus, müssen wir feststellen, dass es Eis gar nicht mehr, einen Aperitif nur noch mit ganz viel Glück geben wird. Die Liebste wird als Gipfel der Ungemütlichkeit mit einem frechen leichten Seitaufwärtsruck des Kopfes, begleitet von einem pfeifenden Zischlaut aus einer Bar gescheucht. Wie eine Schülerin, die sich auf verbotenem Gelände befindet. Ein paar Souvenirläden sind noch auf. In der Tür schlecht gelaunte Verkäufer*innen, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, dass sie vielleicht doch noch eine dieser lächerlichen Capri-Käppies verkaufen. Und ein klitzekleiner „Lebensmittel“-Laden, dessen Besitzer sich hinter der hohen Theke versteckt und von dort ungerührt weiter seine Lieblingsserie im Fernseher gegenüber guckt. Wir wagen es trotzdem, seinen Laden zu betreten. Eine Flasche Weißwein, zwei Flaschen Bier. Wenn wir schon in den Bars nichts mehr kriegen?! Selbst beim Bezahlen nimmt er den Blick nicht vom Fernseher. Ob er uns den Preis gesagt hat? Oder einfach nur stumm auf die Anzeige an der Kasse gedeutet hat? Ob er ein Ciao gemurmelt hat? Oder wenigstens mit dem Kopf genickt? Keine Ahnung. In die Erinnerung hineingefühlt: Nein.
Zu allem Überfluss hat sich die Liebste beim Anlegen auch noch eine Zerrung im Brustkorb geholt. Sie musste tief nach unten gebeugt über eine ins Fleisch einschneidende Reling eine halbherzig hingehaltene Mooring-Leine angeln und mit aller Kraft halten. Seitdem hat sie, – ja wie sagt man? Manche haben Ischias. Die Liebste hat Capri.
Die 4 Stunden-Chance, die das centro storico der Stadt Capri am nächsten Vormittag noch kriegt, nutzt es eigentlich auch nicht. Die Altstadt, zu der wir mit einer Zahnradbahn gelangen, an der schon am frühen Vormittag Unmengen von Tages-Tourist*innen warten, bringt uns hin. Ein großer Teil der Altstadt befindet sich in wirklich schönen, engen Gewölbegängen, die Schatten und gemütliche Geborgenheit spenden, … – würden, … – wenn man sich nicht auch hier gegenseitig auf die Füße treten würde. Wir wagen ab und zu eine kleine Flucht in einen Lebensmittelladen. Metzger. Gemüse und Früchte. Bäcker. Hier ist dann plötzlich Ruhe. Hier hört man Italienisch. Hier bieten mit Stolz Frauen und Männer die Produkte ihrer Arbeit an. Und erklären einem auf Italienisch den Weg zur Post. Denn wir brauchen noch Briefmarken. Für alte Postkarten. Nicht für welche aus Capri. Kurz: Hier war es mal sehr schön. Und wahrscheinlich ist es das auch noch. Z.B. Anfang November.
Amalfi setzt das fort: Atemberaubende Blicke vom Schiff aus. Eine wunderschöne Küste. Orte, die malerisch in die Talsenken gegossen sind, die bis zur Küste reichen. Und an die Hänge rundherum hochgetupft. Nur näher kommen darf man, scheint es, nicht. Ein schönes Stück Käse-Sahne, das am frühen Abend zu lange unbewacht auf der Terasse stand und nun von Ameisen übersät ist. Alle wollen was davon. Zurecht. Auch die, die sich sündig teure Megayachten leihen und von Heerscharen von Servicekräften fahren, putzen, polieren und auf Hochglanz halten lassen. Katharina recherchiert ein bisschen. Diese hier z.B. kostet 265 000,- €.
Pro Woche.

Amalfi-Küste edle Yacht

Stefan und ich gestehen einander, dass wir uns angesichts dieser blitzblanken Protzbolzen und der herrisch aus ihnen herausglotzenden Allesmeinstypen aggressive Gefühle bekommen. Die bei näherem Hinsehen die üble Phantasie erzählen, man sei klein und unbedeutend. Wieder einmal bewahrheitet sich Stefans Leitspruch: Wer in den Vergleich geht, geht ins Leid.

 

05. September 2018

(Amalfi)

Nach einer durchschaukelten Nacht an einer Ankerboje in einer Bucht am Anfang der Amalfiküste segeln wir weiter die Amalfi-Küste entlang. Kurz vor der Stadt Amalfi kommt wieder Wind auf. Richtig guter. Wir hatten gerade beschlossen, den schlappen Wind zu nutzen, uns ein bisschen vom Schiff durchs Wasser ziehen zu lassen. Gerade rechtzeitig geben wir den Plan dran, denn jetzt heißt es tatsächlich: Mit Schmackes segeln. Die Liebste steht am Ruder. Was wir im Golf von Neapel und auch vor und nach Capri beobachteten: Müll. Diesmal organischer. Ein dünner, aber immerhin doch: Baumstamm. Und noch einer. Denkt die Liebste. Mein Gott, da ist schon wieder einer. Aber ein richtig dicker! Ruft sie. Und erstarrt. Unmittelbar neben uns schießt dieser Baumstamm eine Fontäne in die Höhe. Gemächlich taucht er den Kopf unter, wölbt den Rücken aus dem Wasser. Zeigt kurz den Anfang einer Flunke. Taucht sie wieder weg. Schießt wieder eine Fontäne. Magisch. Unwirklich. Geheimnisvoll. Berührend. So fesselnd, dass wir erst auf die Idee kommen zu filmen, als der Wal schon wieder weiter weg ist. Wir fahren mit Schwung eine Wende, hoffend, wir könnten ihn ein bisschen begleiten. Aber er schwimmt genau gegen den Wind. Wir wollen nicht, aber wir müssen: Begreifen, dass er einfach wieder weg ist. Zum Abschied schenkt er uns beim Abtauchen noch einmal seine Flunke in ganzer Pracht.
Immer wieder von vorn erzählen wir einander, was wir ohnehin alle gesehen haben. Und können schon nach kurzer Zeit die Frage nicht mehr beantworten: War er so etwa 5 Meter lang? Oder eher 8? Oder mehr? Ist auch egal. Der Zauber ist eh nicht messbar. Wie tief er reicht, wird klar, als Katharina das Gefühl äußert, hier habe uns kurz ihr Opa einen Besuch abgestattet und einen Gruß fontänt. Ich sage „Ja“. Das heißt: Ich versuche es zu sagen. Aber mir verrutscht die Stimme. Wäre es richtig zu sagen das „Ja“ war wieder besseres Wissen? Welches Wissen? Ich habe es in diesem Moment einfach geglaubt und sie bestätigt. Wir haben Rührung geteilt und vergrößert. Wir haben Gerd innig zurückgegrüßt.
Kaum eine Viertelstunde später lacht das Leben. In Form eines Ormeggiatore. Wir haben gerade erst kurz vor dem Hafen von Amalfi über Funk unsere Ankunft gemeldet, da braust uns ein Schlauchboot  entgegen. Darauf zwei Männer. Das Schlauchboot legt sich sanft gegen unsere Bordwand, einer der beiden steigt bei Fahrt behände auf den Süllrand und schon steht er auf dem Schiff. Er lacht. Er begrüßt uns und gibt uns zu verstehen, dass er jetzt steuert. „Sit down!“ Lacher. „Relax!“ Lacher. „Enjoy. It’s kind of automatic!“ Lacher. Dabei fährt mit einem Affenzahn in eine Kleinsteinfahrt zwischen zwei Stegen. Dreht an einer etwas breiteren Stelle das Schiff mit Schwung um 1800 und fährt mit kaum verminderter Geschwindigkeit das Schiff rückwärts weiter. Und schon ist der Spuk vorbei. Das Schiff schwankt sanft perfekt festgemacht an einem Schwimmsteg. Claudio steigt vom Schiff. Und lacht noch immer. „First time Amalfi? You will like!“ Lacher.

Amalfi Ormeggiatore 1

Amalfi Ormeggiatore 2

Gut, dass wir den Touri-Race-Supergau schon in Capri bewältigt haben.

Positano Scharen von Tagestouristen

So geht er uns in Amalfi und in Positana nicht mehr so auf die Nerven. Nach Positana fahren wir die berühmte Amalfitana mit dem Bus. Jede Menge innere „Ah’s“ und „Oh’s“ und Guckmals. Und jedes Mal schwingt die Kamera hoch. Und ist schwerer als sonst. Sie weiß wahrscheinlich, dass es absolut sinnlos ist, hier fotografieren zu wollen und macht sich extra schwer.

Posotano Cafe am Stadtrand

Wir helfen uns auch hier damit, dass wir uns ganz bewusst lauschige Orte abseits vom Trubel suchen, um innezuhalten und die Sinne zu lüften.
So nah liegen die Welten beieinander: Da begegnen wir dem am besten gelaunten Ormeggiatore auf unserer Tour, liegen in einem Yachthafen, von dem wir mit 5 Minuten Fußweg ein lauschiges Städtchen erreichen, dessen Postkartencharakter am Abend, wenn der Trubel vorbei ist, sogar zu intensiven Momenten von Genuss führt.
Haben aber im Hafen keine Toiletten, keine Duschen. „I’m sorry, no.“ Lacher.

07. September 2018

(Porto d’Arechi, Salerno)

Wir segeln in eine Riesenmarina, abseits von Salerno, so abseits, dass an einen lauschigen Fußweg nicht zu denken ist. Das Gegenteil von Amalfi-Charme. Dafür perfekt organisiert und Sanitäreinrichtungen, – ja mehrere!, damit man es immer einigermaßen nah hat. Egal, wo man liegt – Sanitäreinrichtungen also, die man mit Respekt und Genuss tatsächlich „Bad“ nennen kann. Und mittendrin wieder die kleine Tristesse des Abschieds.
Morgen werden Katharina und Stefan wieder abreisen.
Der Tag ist geprägt vom Genuss des Services in einer freundlich und gut organisierten Marina und vom trägen Grau eines Wartens auf den Abschied. Von Besorgungen, die man besser hier macht, weil sie woanders vielleicht nicht gehen, aber nötig sind. Z.B. eine Gasflasche besorgen. Oder waschen.
Zum wunderbaren Service in dieser Marina gehört auch ein Shuttle-Service, der uns am Nachmittag umsonst nach Salerno bringt.
Und wieder zwei Köpfe, die aus einem sich entfernenden Gefährt, diesmal ein Zug, sich uns noch einmal entgegenzurückstrecken. Dieser kurze Moment der Ratlosigkeit nach jedem Abschied. Heute findet er das Bild der Hinterseite des letzten Wagons, dem wir irgendwie sinnlos hinterherblicken.
Der anschließende Rundgang durch Salerno zeigt uns das Gegenteil von Italo-Idylle. Eher ein kleines Napoli. Gesteigert in unserem Rückweg. Wir nehmen die letzte Bahn raus zum Hafen. An der Endstation steigen wir aus. Ein trister, auf gespenstische Art nächtlich verlassener Ort. In Sichtweise ein Fußballstadion, das wir umrunden müssen, um zum Hafen zu kommen. Verlassene Parkplätze. Überhitztes Pflaster. Überhitzter Beton. Pflanzen, die verzweifelt ums Überleben kämpfen. Hier und da einzelne Gestalten in Autos, die in dieser Szenerie vor allem wie eines wirken: Einsam. Und ein bisschen unheimlich. Wir gehen Hand in Hand dicht beieinander. Beschleunigte Schritte. Die Einkaufstasche drücke ich dicht an mich. Darin sind einige Vorräte, die wir gerade gekauft haben. Natürlich auch ein paar Scheiben italienische Mortadella.

Und vor allem: Jede Menge unfassbar schöne Blicke

Ischia Aragoner Burg Katze

Segeln nach Capri Katharina am Ruder

Pompeji Handy-man im Amphitheater

Pompeji Pause im Schatten

Amalfi Auf dem Wasser