Tag 64
Rat Race
Ich erinnere mich an Familienurlaube. Vater, Mutter, Sohn 1, Sohn 2 (Sohn 3, weil noch zu jung in der Übergangspflege bei Tante Heti.)
Hinfahrt zuerst im Käfer, Sohn 1+2 eingeklemmt auf der Rückbank zwischen Gebäckstücken, die nicht mehr oder von vornherein nicht in einen der beiden „Kofferräume“ passten. Später im VW 1600, Stufenheck, auf „unserer“ Rückbank etwas mehr Platz. Mit schöner Regelmäßigkeit Übelkeit auf der Schwarzwaldhochstraße. Schon knapp 600 km vorher am Anfang der Reise befürchtet.
3 Wochen Standardprogramm. Ruhetag (Erholung von der Reise), Wanderung „Brandenkopf“, 2 Ruhetage, Wanderung „Mosenmättle“, 3 Ruhetage (Mosenmättle ist anstrengend), Ausflug Freiburg, Ruhetage. Einer der Pflicht-Events: Picknick auf einer lauschigen Wiese am Flüsschen „Kinzig“. 4 orange-braun gestreifte Stoffklappstühle auf (bei einem die Seitennaht schon leicht aufgerissen, bedenklich, hält nur noch Sohn 2 weil: der Leichteste), Klapptisch mit Kartoffelsalat, irgendeiner Schwarzwälder Dauerwurst-Spezialität, Streuselkuchen, Fanta („ausnahmsweise, weil Urlaub ist“) und noch ein paar anderen Köstlichkeiten beladen. Und dann konnte die Gemütlichkeit an der „Frischen-Luft“ (mit einer gewissen Zackigkeit ausgesprochen) Fahrt aufnehmen.
Konnte sie dann aber doch nicht.
Vor der Gemütlichkeit kamen die Wespen.
Denen mein Vater sich mit Heldenmut und Gründlichkeit entgegenstellt. Er nimmt den einsamen Kampf auf, nur bewaffnet mit einem seiner nicht beigen, aber auch nicht grauen, aber auch nicht braunen Sommerschlappen. (Lange vor Adiletten, jedoch auch unbedingt mit langen Socken zu tragen.)
Es sind viele Wespen. Deren Bekämpfung ein größeres Projekt. Zum Glück schiebt Vater sich mitten im Kampf schnell ein Dauerwürstchen rein. Damit ist ein Startsignal gesetzt. Ohne hätten wir nicht gewagt anzufangen. Man fängt nicht ohne den Vater zu essen an. Mutter und Sohn 1 und Sohn 2 sitzen irgendwie unschlüssig am Tisch. Verstohlen naschen sie ab und zu etwas, – immer auf der Hut, ob das schnell reingeschobene Dauerwürstchen des Vaters womöglich doch gar kein Startsignal war und wir einen Man-fängt-nicht-ohne-den-Vater-Anschiss bekommen, gesteigert vom Zorn gegen die Wespen. Nach und nach werden wir mutiger. Sohn 1 und Sohn 2 entfernen sich gar vom Tisch und bauen den ein oder anderen Deich an der „Kinzig“ nebenan. Deichbau immer mal wieder unterbrochen von kurzen Bienenstich-Ausflügen zurück an den Campingtisch. Schlechtes Gewissen, weil wir abhauen können, Mama aber nicht.
Bei einem dieser Ausflüge bemerken wir einen leeren Tisch. Fragender Blick zu Mama. Schulterzucken mit den Augenbrauen. Ah, – Aufbruch. Vater hat die Nase voll.
Die Wespen warten nicht, bis wir weg sind. Sie machen sich schon während des Aufbruchs über die Krümmel her.
So ähnlich kommt mir vor, was ich im Netz gerade beobachte. Meine Arbeit an der Tscharntke-Rede (s. Tag 63, Heil-Land) ist abgeschlossen. Ich will nur noch – sozusagen als letzten Akt, die gesammelten Materialien in einen Desktop-Ordner packen. Dabei auch eine Offline-Version des Videos und die Rede als Pdf. Sicherheitshalber will ich schnell noch nachschauen, ob die Rede online überhaupt noch verfügbar ist und wo. Und wieder wird eine längere kleine Recherche daraus. Viele der Links zu der Rede funktionieren nicht mehr. Offenbar wurde an verschiedenen Orten das Video von der Rede aufgrund von Anzeigen gelöscht. Dafür ploppt sie an anderen Stellen wieder auf. Begleitet von den einschlägigen Kommentaren. Das Video mache die Herrschenden wohl nervös … wahrscheinlich wegen der Wahrheit … man lasse sich von Merkel und Co. nicht mundtot machen usw. Ich finde auf die Schnelle 8 neue Orte der Veröffentlichung. 6 davon allein auf Youtube.
Das Spiel wird weitergehen. Und auch dieses Rat Race verstehe ich nicht. Die einzelnen Motive verstehe ich schon. Jemand ist sauer über das Video, findet darin etwas, das bestimmten Regeln widerspricht und zeigt es an. Ein anderer ist sauer, dass die Herrschenden das Video wieder gelöscht haben und lädt es woanders wieder hoch.
Was ich nicht verstehe, ist, dass diese Menschen nicht verstehen, dass sie ein albernes Spiel spielen. Das Tilgen-Wollen ist zum Scheitern verurteilt. Man wird ja so diese Botschaften des Videos nicht los. Sie kommen immer wieder. Und umgekehrt: Da, wo man es hochlädt, wird es wieder gelöscht werden usw.
Das Ergebnis: Nichts. Die, die glauben wollen, werden noch mehr glauben, – die die sich aufregend darüber, werden sich noch mehr aufregen.
Mein Vater hat das Wespen-Jagen wenigstens irgendwann abgebrochen.