coronawoche8

Tag 56

Wuppertal

Skulptur im Skulpurenpark Wuppertal

Es scheint als könnte diese Stadt Spagat. Jedenfalls im kulturellen Leben.

Graffitis am Haus der Jugend, Wuppertal
Sie wird sich hier und da eine Zerrung holen.

Skulptur im Skulpturenpark Wuppertal

Tag 55

Ich habe es tatsächlich getan. Und es ging. Dabei hatte ich Zweifel, ob das überhaupt in den Bereich der von mir entscheidbaren Dinge fällt. So ähnlich wie bei der Konfession. Tut es. Offensichtlich.
Ich habe die Fußball-App auf meinem Handy gelöscht und das dazugehörige „Werbefrei-plus- ein-paar-kleine-Extras“-Abo gekündigt.
Mein Dasein als Fußball-Fan ist beendet.
Seit der öffentlichen Berichterstattung über freiwilligen Gehaltsverzicht von Fußball-Profis, dem scheibchenweisen Infizieren von Politik und Öffentlichkeit mit „Fortsetzung der Saison“ und endgültig seit dem Gejammer über eine mögliche Insolvenz der Firma mit den blauweißen Gazprom-Werbepuppen war ich nur noch angewidert und zornig. So heftig, dass ich mich gefragt habe, warum. Ich weiß ja nicht erst seit gestern, dass das Prinzip „Brot und Spiele“ zum Kapitalismus gehört. Dass Popstars aus Show und Sport damit geradezu obszön reich werden. Und dass sie dabei so tun, als läge Ihnen die/der Fan am Herzen.
Eine Antwort habe ich nicht gefunden. Aber einen Ausweg.
Der Samstag ohne Fußball war ein schöner Tag. Und zwar nicht trotzdem. Sondern zu einem guten Teil wegen.

Tag 54

Schlange

Zehn Uhr Acht. Perfekt. Zehn Uhr Zehn ist der Termin. Während ich das Fahrrad an der Arztpraxis abstelle, sehe ich draußen schon die Schlange. Sieht lang aus. Sind aber nur 5 Menschen. Es wird immer nur eine Person reingelassen, wenn eine andere die Praxis verlässt.
Ein Mann kommt kurz nach mir angeradelt, stellt auch sein Fahrrad ab. Er kriegt das Gefummel mit dem Schloss schneller hin und kann sich vor mir in die Schlange reihen. Als ich endlich auch soweit bin, schaut er mich an und winkt mich vor. „Sie waren doch vor mir da.“ Wahrscheinlich lächelt er, aber sehen kann ich es nicht. Mundschutz.
Hier und da ein paar launige Wortwechsel. Woll`n Sie auch `n Fisherman’s? Garantiert noch nicht infiziert. Nein Danke, ich bin zu schwach. Hä? Ja, kenn`se nich? Die Werbung? Sind sie zu stark, … Ach so ja, klar.
So in der Art.
Kurz darauf strebt eine flotte, schicke, junge Frau eilig auf die Eingangstür zu. Sie rüttelt daran. Aufklärung aus der Schlange: Sie müssen erst schellen. Die Person schellt. Sie reckt ungeduldig den Kopf hin und her. Versucht, drinnen jemand auf sich aufmerksam zu machen.
Wieder wird sie aufgeklärt. Sie müssen auf das Surren in der Tür achten. Dann können sie sie aufdrücken.
Ich bin innerlich schon auf dem Sprung, da tut es ein anderer: Aber, sagen Sie, Sie sind ja eigentlich noch nicht dran. Sie müssen sich hinten anstellen. Wir warten alle.
Ja, aber, … sie habe gerade angerufen, um nur ein Rezept abzuholen. Da sei ihr gesagt worden, sie solle um 10 da sein. Sie sei jetzt eh schon zu spät.
Ohne weitere Kommentare wie auf geheime Absprache spulen wir alle, die wir in der Schlange stehen, unsere Zeiten runter. 10:10, 10:15, 10:20 usw. Gefällt mir, die Szene.
Sie lässt sich nicht beirren. Sie habe ja keinen Arzttermin. Sie habe nur einen Termin zum Rezept Abholen.
Inzwischen hat es an der Tür gesurrt, sie aber verpasst, zu drücken.
Ja, nu drücken se, brummelt es aus der Reihe.
Die Frau drückt.
Ja, erst schellen, natürlich.
Das geht noch ein wenig hin und her. Mit der einen oder anderen kleinen Spitze aus der Schlange. Aber nicht besonders giftig. Eher ketzerisch.
Schließlich geht die junge Frau als erste von uns allen rein. Sie hat es geschafft.
Ich schwanke zwischen wohliger Freude, Ärgern und Beneiden. Mit freundlicher, aber unnachgiebig bestimmter, lässiger Dreistigkeit seine eigenen Interessen verfolgen und durchsetzen. So selbstverständlich, dass es nicht mal zum Kampf kommt. Das würde ich mich niemals trauen. Davon hätte ich gerne mehr.
Die Freude? Sie genießt, dass alle hier in der Reihe sehr entspannt sind. So entspannt, dass es nicht einmal lohnt, sich aufzuregen.
Die junge Frau kommt wirklich sehr schnell wieder raus.
Und spurtet an uns vorbei zu ihrem Auto. Es soll so aussehen, als ob sie es enorm eilig hätte. Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass ihr der Weg vorbei an „unserer“ Schlange sehr, sehr unangenehm ist. Das find ich gut. Sie schämt sich wenigstens ein bisschen. Das ist doch mal ein Anfang.

Tag 53

Morgensonne 1 Kleine Lichtinseln
Morgensonne 2 Kleine Lichtinseln
Frisch gestimmt

Wie erste Morgensonnentupfen
Perlentöne aus den Vogelstimmen zupfen
Wie in frisch aufgezog’nes Bettzeug hinzusinken
Wie Vergleiche, die kess grinsend hinken
Wie die Hände an der warmen Tasse Tee
Nach einem Fröstel-Sturm-Spaziergang an der See
Wie beim Nachhausekommen Zwiebelbratgeruch im Flur
Wie winterweises Ruhen von Natur
Wie der Verzicht auf Garantie
Für Zuversicht und Empathie. Wie
Vanilleeis, grad im Beginnen
Auf warmem Apfelstrudel zu zerrinnen.
Wie sanftes Pusten, das den Kinderschmerz verringert
Wie ihr Blick, der unversehens so verlangverführig schimmert
Wie wenn von der sich öffnenden Mohnblütenknospe
Ich scheue Blicke lockende Verheißung koste
Wie ein Segelschiff durch wilde Wasser reitet
Ein Tambourin den Schrei der Welt begleitet
Wie Jetzt
Wie Hier
So klingt
Frisch gestimmt
Mein Klavier.

Tag 52

Wenigstens unsere Heimatzeitung sorgt für nicht digitales Amüsement.
Zum Beispiel der Aufmacher heute im Lokalteil.

Hallo?!? Ist da jemand?!? AFD-Sympathisanten, Pegidianer oder irgendwelche anderen um die ethnische Unversehrtheit unserer schönen Heimat besorgten Menschen?!?
Müsst Ihr da nicht was unternehmen?!?
Das ist ja furchtbar!! Und wie die schon aussehen, diese Grundel!!

Grundel Fisch
Da wird ja selbst die Lügenpresse schwach und eiert nicht politisch korrekt herum, sondern nennt die Dinge bei den Namen, wie sie der gesunde Menschenverstand auch benutzen würde.  „Invasion aus dem Schwarzmeerraum“, statt „Zuwanderung von Fischen mit Migrationsgeschichte“ (und wo die Brüder herkommen, wird dann feige verschwiegen), „Eindringlinge“ statt „Asylbewerber*innen“, „macht sich breit“, statt „siedelt sich an“.  Die „vermehren sich rasend schnell“, die „bedrohen“ mit ihrer „Aggressivität“ die „heimischen“ Fische. Man möchte den „Kampf gegen die glubschäugige Grundel“ vorantreiben.
Und das Ganze geschieht auch noch heimtückisch im Schatten der Corona-Krise. Wahrscheinlich weil sie glaubt, dass es da keiner mitkriegt, diese Grundel. Aber nicht mit uns!
Also was ist jetzt? Wenigstens eine Presseerklärung oder eine kleine Social-Media-Kampagne? Ein paar Aufklärungs-Youtube-Clips?
Das könnt Ihr doch nicht einfach so hinnehmen!
Heil Petri!

Tag 51 

Ich erfahre durchs Radio, dass heute der Tag der Limericks sei. Was es alles gibt.
Ohne, dass ich das groß beschließe, fängt mein lyrisches Ich an zu kreisen.
Und zu kreißen.
Und gebiert.

Bierflasche Corona

Corona

Es reicht ein nur winziger Tropfen
Schon hörst du den Sensenmann klopfen
Die Warnung im Ohr
Zieh‘ ich doch vor
Gleichnamige Tropfen aus Hopfen

Tag 50

Ein Triptychon aus Traum

Ereignisreiche Nacht an der Schwelle zum Tag. Glaube ich. Denn als ich aus dem letzten Traum erwache, beginnt es zu tagen.

Der erste Traum: Eine ältere Frau steht vor einem jungen Paar. Sie übernimmt für ein paar Tage deren Wohnung. In der Szene möchte sie den beiden das Geld dafür geben. Die Beiden finden das Quatsch. Sie solle das Geld doch dem Vermieter geben. Die Frau will das nicht. Ich vermute im Traum, dass ihr das zu kompliziert ist und sie das Bezahl-Thema lieber jetzt erledigt wüsste. Die beiden Jüngeren sind in einer Zwickmühle. Sie möchten einerseits der netten älteren Dame entgegenkommen, andererseits aber nicht die Arbeit haben, das Geld dann ihrerseits beim Vermieter abliefern zu müssen. Mein beobachtendes Traum-Ich überlegt begleitend, welche Lösung denn jetzt die richtige wäre, kommt aber nicht drauf. Ende. Ich weiß nicht, ob ich kurz wach werde.

Der zweite Traum: ich sitze auf dem Klo. Es steht in einem offenen Raum. Rechts von mir ein Treppenhaus. Lichtdurchflutet. Es ist ein schick gestyltes Glaskonstrukt mit schmalen Metallstreben. Mir direkt gegenüber, ziemlich nah, eine Wand. Von rechts kommt ein Mann durchs Treppenhaus hoch und geht auf mich zu. Ein gutes Stück hinter ihm eine Frau. Da die Wand mir gegenüber sehr nah ist, können die Beiden wohl nicht einfach so vor mir vorbeigehen. Wie selbstverständlich drehe ich mit der ganzen Kloschüssel einfach nach links. Wie auf einem Bürostuhl. Die Beiden gehen seitlich an mir vorbei. Mein Traum-Ich wundert sich, dass ihm das nicht peinlich ist. Mit runtergelassener Hose auf einem seitlich gedrehten Klositz unmittelbar neben zwei an mir vorbei gehenden Fremden. Als sie durch sind, drehe ich wieder zurück. Mein Blick fällt gegenüber nach draußen. Diesmal rührt sich mein Traum-Ich nicht, denn es wundert sich nicht, dass ich einfach so geradeaus nach draußen gucken kann. Schließlich war hier gerade noch eine Wand. Es registriert das emotionslos. Draußen, etwas weiter weg, jenseits einer Straße ist links eine kleine Siedlung mit mehreren winzigen Häuschen. Sie sind alle unterschiedlich. Die Häuschen selbst und das jeweilige Drumherum ist ein einziges verspieltes buntes Durcheinander von verschiedenen Gefährten, Kinderspielgeräten, Wäscheleinen, Rasenmähern. Ein wenig wie ein Landschaftsausschnitt einer Modell-Eisenbahn-Anlage. Rechts daneben ein modernes, mittelgroßes Hochhaus, architektonisch interessant. Glas und Stahl, aber nicht protzig, eher verspielt. Ähnlich dem Treppenhaus rechts neben mir. Ist es mein Traum-Ich, oder mein Ich-Ich, das sich einen kurzen Moment fragt, ob das Gebäude, in dem ich bin, vielleicht von außen genauso aussieht? An mehreren Stellen an dem gegenüber liegenden modernen Hochhaus hängen große braune Frottee-Betttücher, rechts und links jeweils an dünne Stahlleinen geklippt, vor der Fassade herab. Ich frage mich im Traum, was das wohl ist. Dann fällt es mir ein. Ach ja, da ist ja ein Studentenwohnheim. Kurz darauf schwingt sich ein junger Mann an einer Leine aus dem Fenster auf eines der Bettücher. Gesichert mit der Leine seilt er sich mitsamt Bettuch ab. Kurz vor dem Boden: Ende. Ich weiß nicht, ob ich kurz wach werde,

Der dritte Traum. Ich gehe durch einen Flur, nähere mich dem Badezimmer. Dessen Eingang ist wiederum ein Flur. Ein kürzerer mit zwei Türen. Die erste Tür zu dem Flur, in dem ich stehe, ist offen. Die zweite zum Badezimmer selbst verschlossen. Ich höre das klassische Geräuschszenario einer laufenden Dusche. Durch die offene erste Tür sehe ich in dem kleinen Flur zum eigentlichen Badraum bestimmt 40-50 cm hoch das Wasser stehen. Darin strudelige Fließbewegung. Als würde immer noch Wasser nachlaufen. Merkwürdigerweise steigt der Wasserstand, aber das Wasser fließt nicht aus dem kleinen Flur heraus in meine Richtung. Mein Traum-Ich fragt sich, wie das sein kann. Sucht eine unsichtbare Wand. Etwa eine Scheibe. Da ist aber keine Scheibe. Dann entscheidet mein Traum-Ich, dass das jetzt unwichtig ist. Denn die Liebste muss aus der Dusche raus. Wer weiß, wie hoch da das Wasser steht. Ich rufe: „Du musst sofort aus der Dusche raus!“ „Geht nicht“, höre ich gedämpft zurück durch die Tür, „sitze gerade auf dem Klo!“
„Das kann nicht“, hört mein Traum-Ich sich selber denken, „die sitzt niemals auf dem Klo und lässt gleichzeitig die Dusche laufen!“ Mit sich überschlagenden Traum-Ich-Erklärungsversuch-Gedanken reißt der Traum ab. Ende.

Als ich zurückgefunden habe ins Wach-Dasein, rattert sofort das Rational-Maschinchen im Kopf los. Ist doch klar, der Traum ist eine Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass du offenbar schon seit einiger Zeit pinkeln muss.

Ich stoppe das Maschinchen und während ich mich unwillig aus dem Bett schäle, freue ich mich daran, dass die Hirnströme in meinen angeblich grauen Zellen soviel Bilder-Spiel-Wirbel um eine eigentlich banale Sache machen..Sie fabulieren halt gerne. Ich vermute, sie tun es oft.
Auch bei anderen Menschen.
Wahrscheinlich nicht nur im Traum.
Das Leben ist die Erzählung davon.