dreiundzwanzig

Schieflage

Desinfektionsstation

Schönes Geschmeide

Sie haben ihr schönstes Geschmeide angelegt.
Vielleicht ein Festtag.

Blatt mit Regentropfen

Geständnis

Merkwürdig. Schon im Januar 2020, als Gäste in Talkshows noch schön nah beieinander saßen und Moderator*innen den Gesprächspartnern ordentlich auf die Pelle rücken konnten, um den Erregungslevel noch zu erhöhen, gibt der Verkehrsminister Andreas Scheuer zu, einen Fehler gemacht zu haben.
Natürlich nicht sofort. Zunächst ist er noch im Kampfmodus und verwahrt sich gegen eine „Hetzkampagne“.

Aber dann … :

Ich hätte gewettet, er sagt „Ja“ auf die Zusammenfassung des Moderatoren: „Ok, also … , kein Fehler und sich auch nichts vorzuwerfen“.
Aber er sagt „Nein“. Also doch ein Fehler.
Gut, das kann ein Flüchtigkeitsversprecher sein. Zu wenig Hinhören vor dem Sprechen.
Aber dies ist dann nun wirklich ein Geständnis:

Er rechnet also mit den öffentlich diskutierten 560 Millionen Euro Entschädigungszahlungen, denn „das Geld fehlt uns ja allen“.

Da kann man es doch jetzt wirklich auch mal gut sein lassen. Der arme Mann!

Fiebern

Donald Trump ist Corona-Infiziert. Ich fiebere mit. Und schäme mich ein bisschen. Denn ich hoffe, dass er einen schweren Krankheitsverlauf hat. Als ich heute erfahre, dass es ihm wieder gut geht, bin ich enttäuscht. Und schäme mich wieder.
Warum ist mir Trumps Covid nicht einfach wenigstens egal? Wenn ich schon nicht mit einem kranken Menschen mitfühle?
Erster Blick: Ich fürchte das Danach. Ich lese in Gedanken schon O-Töne von Donald Trump: Dass doch sein Verlauf zeige, dass dank der phantastischen amerikanischen Ärzte das Virus beherrschbar sei, wie er immer gesagt habe. Dass er offenbar kerngesund sei und das Virus ihm letztlich nichts anhaben könne. Dass seine Corona-Politik auch in seinem eigenen Fall offenbar genau richtig gewesen sei. Und so weiter.
Zweiter Blick: Schon lange ärgere ich mich, wenn ich wieder und wieder in Nebensätzen lese, dass die USA zu den Ländern mit den meisten Covid-Toten zählen würden, woran man ja die falsche Politik Donald Trumps erkenne. Dann fällt die schockierende Zahl: Schon mehr als 200 000 Tausend Tote in den USA. Ich lese das auch heute in „meiner Zeitung“, („Ruhrnachrichten“, 05.10., Seite 3: „… erkrankt der Präsident, der die Corona-Pandemie heruntergeredet hat, an dem tückischen Virus, das bislang schon mehr als 200 000 Amerikaner das Leben kostete …“).  Schauder. Eine Seite weiter die tägliche Corona-Statistik. Dort lese ich: Todesfälle USA: 209 563. Ich möchte die Zahl verstehen und schaue auf die „Todesrate“ eine Spalte weiter: 2,83%. Ich weiß nicht genau, was Todesrate bedeutet und nehme einfach mal an, dass sie angibt, wieviel Prozent der erkrankten Menschen an Covid sterben. In der Zeile darüber lese ich, dass dieser Anteil in Deutschland höher ist: 3,17%.
Höher!? Ich versuche weiter, diese Zahlen zu verstehen und schaue bei „statistica.com“. Die Widersprüche werden nur schärfer. Einerseits wird dort das, was „meine Zeitung“ Todesrate nennt, in etwas bestätigt: „USA 2,86 – Deutschland 3,24“. Andererseits fällt der Vergleich bei den „Todeszahlen pro 1 Million Einwohner“ wieder umgekehrt aus: Deutschland 114, USA 639. Ich reime mir das irgendwie zusammen. Spüre aber, dass ich eigentlich auch jetzt wieder genauer hingucken müsste. Die nächste Recherche-Aufgabe stünde an. Sind in den USA relativ mehr Menschen infiziert als in anderen Ländern? Oder werden mehr getestet? Oder weniger? Oder relativ zur Bevölkerung gleich viele? Werden weniger oder mehr Menschen, die gestorben sind, nachträglich auf Corona getestet? Geht das überhaupt?
Wie üblich, wenn ich in diesen Zeiten genauer hinschaue, gerate ich in einen Sog, der mich lockt, mich in Informationsquellen recherchierend zu verlieren. Und das ohne finalen Erkenntnisgewinn. Odysseus und der Gesang der Sirenen.
Was bleibt, ist, dass mir die Zahl „mehr als 200 000“ nicht geheuer ist. Weil ich sie nicht verstehe und weil sie angesichts der überaus unterschiedlichen Bevölkerungszahlen in den verschiednen Ländern so nichtssagend ist, dass ihre „Die-Corona-Politik-von-Donald-Trump-ist-gescheitert“-Funktion den Schein von objektiver Information herunterdimmt.
Dritter Blick: Warum vergleiche ich eigentlich überhaupt? Macht es mein Sicherheitsgefühl größer, wenn ich lese, dass in den USA mehr Menschen an Covid 19 sterben als in Deutschland? Schauder. Das heißt doch, dass mich eine große Zahl von Toten in anderen Ländern erleichtert. Menschen sterben und es erleichtert mich. Was für eine beschämende Art von Nationalismus! Erst recht, wenn ich schlussfolgere: Bei „mir“ sterben weniger, weil „mein“ Gesundheitssystem besser ist.
Vierter Blick: Ich will mich selbst nicht belügen, schaue mich um in mir und muss mir eingestehen: Ich will einfach nicht, dass Donald Trump am Ende Recht hat, wenn er „die Pandemie“ verharmlost. So wie Bolsonaro. Oder Johnson. Ich will nicht, dass diese Leute Recht behalten. Genauso, wie ich nicht will, dass die prominenten Protagonisten von „Querdenken“ Recht behalten.
Fünfter Blick: Warum eigentlich will ich das nicht? Ich scheue weg von diesem „Recht haben“. Von diesem Behaupten der Deutungshoheit. Von diesem Ausmerzen von Zweifeln. Von diesem Ausmerzen von Suchen. Von diesem Ausmerzen von Respekt gegenüber dem Leiden von Menschen. Von diesem immer schon und sowieso gewusst Haben. Ich scheue weg von dieser Häme gegenüber Andersdenkenden. Und weg von diesem Jonglieren mit Zahlen. Ich scheue weg, von dieser immer eine Spur zu heftigen Formulierungs-Erregung, – besonders von der, die sich mit Mühe gerade so weit zurückhält, dass die Erregung nicht gleich aus dem Gebüsch springt. Ich scheue weg davon, dass die Protagonisten Menschen um sich scharen, die nicht hinschauen wollen, sondern geradezu dankbar Menschen folgen, die mit mächtiger kleiner Wahrheit die eigene Unsicherheit ausmerzen. Ja klar! Die Asylanten sind schuld! Selbst dann, wenn es in meiner Umgebung gar keine gibt. Ja klar! Bill Gates ist schuld. Ja klar! Die Demokraten sind schuld. Oder die EU. Oder die Konzerne. Oder wer auch immer.
Sechster Blick: Aber die Wahrheit ist: Ich möchte nicht erkennen müssen, dass meine Bereitschaft, mich der Politik der Virus-Beherrschung auszuliefern, vielleicht falsch ist … und
Siebter Blick: … mir sachliche Recherche aus meinem Dilemma nicht heraushilft.

Sieben von 1001 verstörenden Blicken. ‚Immerhin‘, so versuche ich mich selbst zu beruhigen, ‚probierst du  auch dort Erkenntnisse zu gewinnen, wo du nicht von vornherein damit rechnen kannst, dass deine eigene kleine Wahrheit bestätigt wird, – z.B., wenn du genau hinguckst, in dir selbst.

Rumkriegevirtuosin

Dieser Blick.
Dieser Laut.

Ich bin nicht sicher, ob es eher ein bedürftig klagendes Bitten ist oder eine fordernd leidende Anklage, dass ich schon wieder meiner Versorungsverpflichtung nicht nachgekommen bin. Dabei bin ich gar nicht verpflichtet. Ich bin ja nur Gast in dieser Ferienwohnung. Ich erkläre ihr das. Aber meine Worte schweben an ihr vorbei ins Nirvana der Sinnlosigkeit.
Schließlich bin ich weich. Und kredenze ihr eine ordentliche Portion feinsten Bio-Ziegenkäses.
Sie verspeist die – wie ich finde: großzügige – Gabe, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

Die Katze ruht nach dem Fressen
Nun liegt sie da und macht ein Nach-Sättigungs-Schläfchen. Als ich mich einmal bewege, hebt sie kurz den Kopf und schaut mich an. Ich glaube, sie sagt: Na also. Geht doch.
Und legt den Kopf wieder ab.

Vor genau 4 Wochen, am 20.08.2020, bricht Alexei Anatoljewitsch Nawalny in einem Flugzeug über Sibirien zusammen. Schon bald wird ein Giftanschlag vermutet. Fast ebenso schnell steht im Raum, dass „Moskau“ für diesen Anschlag verantwortlich sei. „Moskau“, … wer oder was immer damit gemeint sein könnte. Es entsteht der Eindruck einer finsteren Macht um Putin herum, vielleicht er selber, die rigoros regierungsfeindliche Kräfte „ausschaltet“. Auch Donald Trump nutzt diesen Begriff gelegentlich. Als wären Menschen, die als Bedrohung definiert werden, Aggretate, die die reibungslose Funktion der Maschine stören, und die man deshalb abschalten muss, damit kein Schaden entstehe. Nawalny wäre nicht der erste „Kreml-Kritiker“ – auch dies ein gern geschriebener und gelesener Frame –, der per Mordanschlag „unschädlich“ gemacht wurde bzw. gemacht werden sollte. Ich merke, dass das auch bei mir wirkt. Sehr eindrücklich hat sich dieses Bild von Wladimir Wladimirowitsch Putin vom G-20-Gipfel eingebrannt, auf dem er im Gespräch mit dem saudi-arabischen Kronprinzen Salman ibn Abd al-Aziz zu sehen ist.

G 20 2018 Salman trifft Putin

Es entstand kurz nach dem Mord an dem „Regierungs-Kritiker“ Jamal Khashoggi. Die Beiden – Salman und Putin – feixen einander an wie Fußballspieler in der Kabine, die sich gerade abgeklatscht haben, weil der ausgekochte Stürmer mit einer Schwalbe einen Elfmeter provoziert hat, der dann zum Sieg führte.
Üble, gewaltbereite Machtmaschinenmenschen, so phantasiere ich.

Und natürlich bin auch ich empfänglich für die „Selbstverständlichkeit“, mit der Herr Putin den Anschlag auf Nawalny zu verantworten hat.
Zugleich kämpfe ich dagegen an. Was weiß denn ich, wer was tief unten in den Kanalisationsgewölben der internationalen Geld- und Machtpolitik mit welchen kruden Motiven ausgeheckt hat?!
Und so phantasieren die Liebste und ich als kleine Gegenwehr gegen die so gern empfangenen Deutungs-Selbstverständlichkeiten nach dem Gift-Anschlag auf Nawalny möglichst zynische Varianten, welche Kanalisationsgewölben-Clique ein Interesse hätte, Nawalny zu töten.
Eine der Varianten – und die finden wir dann besonders weit her geholt: Trump – auch so ein immer wieder gern gesehener Bösewicht – habe die CIA beauftragt, Nawalny zu töten mit einem in russischen Laboren entwickelten Nervengift. Der Verdacht würde auf die russische Administration fallen. Die Europäer würden erbost über diese perfide Entgleisung der Macht sich von Putin distanzieren und das Kooperations-Projekt „North-Stream 2“ stoppen. Und schon wäre den Amerikanern ein Weg frei, dem energiehungrigen Europa amerikanisches Fracking-Gas zu liefern.
Wir kichern. Und vergessen unser Spielchen wieder.

Heute lese ich in einem Artikel der „Zeit“, dass der Bundesfinanzminister angeboten hat, eine Milliarde Euro zur Verfügung zu stellen, damit in Brunsbüttel und Wilhelmshaven Spezialterminals gebaut werden können. An diesen könnten dann amerikanische Tanker Fracking-Gas anlanden.
Inneres Kopfschütteln bis kurz vor dem Schwindel.

Aber wie das eben immer so ist. Mein „Ha!!!!“ bekommt einen gehörigen Dämpfer, denn im selben Artikel steht am Ende, dieses Scholz-Angebot sei schon vor dem Anschlag auf Nawalny über den Teich gewandert.
Bin ich den Ränkeschmieden in den Kanalisationsgewölben der internationalen Geld- und Machtpolitik wohl doch nicht auf die Schliche gekommen, – damals am Tag nach dem Attentat auf Nawalny.