dreizehn

Das ist ungerecht.
Wenn ich bei einer Aufführung der Ruhrtriennale noch vor Beginn der Aufführung ein Foto von dem Bühnenbild machen möchte, um Tage oder Wochen später wenigstens einen kleinen Erinnerungsimpuls zu haben, kommen sofort freundliche Mitarbeiter/-innen in corporate-identifizierten schwarzen Poloshirts auf mich zu und fordern mich dezent auf, – man will mich ja vor den anderen im Publikum nicht beschämen –, das doch bitte nicht zu tun. Deshalb hab ich es am Freitag, als ich Medea.Matrix gesehen habe, – o.k., nicht gar nicht, aber doch sehr sehr heimlich und mit viel schlechtem Gewissen getan.
Karin Fischer aber durfte für ihre Rezension des Stückes im Deutschlandradio offenbar sogar O-Töne aufnehmen.

Ist das ungerecht?
Schon erst recht, wenn der O-Ton für eine Rezension benutzt wird, die das Stück nichts anderes als runtermacht.
Ich dagegen, der mit größtmöglichem Respekt vor der Arbeit der Künstler seine Verunsicherung erstmal mit rausnimmt und schweigt, und weiter schweigt und dann, nach und nach, im Gespräch mit den anderen, sogar noch Tage später, entdeckt, was dieses Stück mir erzählt, – ich dagegen also darf nicht mal ein Foto machen.

Heute beim Frühstück fragt die Liebste, als wir ein weiteres Mal über unser Erlebnis am Freitag reden, mit der ihr eigenen zarten Ironie, was wir eigentlich über das Stück denken „müssen“. Ob ich schon mal nachgeguckt hätte. Wir suchen und finden: Eine Rezension im Deutschlandradio. Sie stammt vom Tag nach der Uraufführung.
Wir hören sie uns an und fragen uns, ob eigentlich ein/-e Kulturjournalist/-in nicht der Wahrheit verpflichtet ist. Die Autorin der Rezension berichtet, die Figuren, denen man begegnet, während man auf den eigentlichen Aufführungsraum zugeht, hielten Plastikschüsseln mit je einem Ei in den Händen. Komisch, wieso erinnere ich mich nur an eine Plastikschüssel mit einem Ei, ganz bestimmt aber nicht an viele? Wieso erinnere ich mich daran, dass einige der Frauen eben keine Plastikschüssel in der Hand hielten? Wieso erinnere ich mich daran, dass ich mich gefragt habe, wie das Ei und das, was noch in diesen Schüsseln lag, – nämlich z.B. prallgrüne runde Blätter einer Pflanze, von der ich noch heute nicht weiß, wie sie heißt, zusammengehören? Hab ich das falsch gesehen?
Habe ich mich getäuscht, als plötzlich diese – übrigens blaue, übrigens Plastik- – Schüssel als Projektion in dem Stück wiederauftaucht? Diesmal mit einer Hand, die mit blauer Farbe ein Ei benetzt?
Die Rezensentin bezeichnet die Frauen als „erratische“ Gruppe. Wieso habe ich weder am Anfang, noch im weiteren Verlauf des Stückes, als die Frauen sich zu einer Art Sprechchor versammeln, der eindeutig christliche Konnotation erhält, als die Frauen eine Art Kommunion vollziehen, wieso habe ich an keiner Stelle das Gefühl, sie seien „sich verirrend“ ? Im Gegenteil. Für mich gehören sie genauso jeweils genau da hin.
Und wir fragen uns, ob ein/-e Kulturjournalist/-in nicht wenigstens den Versuch unternehmen sollte, der Irritation, dem Schweigen, dem suchenden Tasten, die das Stück auslösen, ein kleines Stück Wegs folgen sollte. Vielleicht hätte sie dann manches entdeckt. Z.B., dass dieses Stück kein Vorhang-Theater ist, bei dem am Ende an der Zahl der „Vorhänge“ der Erfolg des Stückes, ja sogar in Konkurrenz bisweilen der Erfolg einzelner Schauspieler/-innen gemessen wird. Nein. Man betritt einen Raum, geht durch ein Geschehen, setzt sich auf einen Platz, die Aufführung ist schon im Gange und geht jetzt auf einer Bühne weiter. Sie endet irgendwann mit einer sich auditiv und visuell steigernden Bild-Inszenierung, die mit gar nicht so viel Deutungsaufwand als subjektives Erleben einer Geburt anmutet. Ein gebogener Raum, wie das Innere einer Röhre, dunkle wie überdimensional vergrößerte Haare anmutende Streifen vor hellem Weiß. Das Weiß wird immer heller, weißer, gleißender. Die Streifen verschwinden. Auf einem Bildschirm erscheint: „Die Geburt der Tragödie“. Auf einem Bildschirm erscheint: „Exit“. Die Vorführung ist zu Ende. Das Stück beginnt. In jedem einzelnen. Nur offenbar in der Rezensentin nicht.
Sie schwadroniert eine „Ja, ja, kennen wir alles“ – scheinbedeutsame Beliebigkeit in das Stück hinein und je schärfer sie stechen möchte, umso mehr entwaffnet sie sich ihrer Worte bis zur Lächerlichkeit.
Die (bekannte) Schauspielerin im Zentrum der Bühne wird als Spielball von „Vergeudung“ bezeichnet, weil sie eben extrem distanziert spricht und nicht im klassischen Sinne Rolle spielt. Sie verlässt ihren Platz nicht, ändert nicht ihre Pose, bewegt sich kaum. Nun ist es aber für eine Kultur-Spezialistin eine geradezu vermessene Unterstellung, hier würde schauspielerisches Potential „vergeudet“. Denn es unterstellt, die Schauspielerin hätte nicht im Wissen um ihre „Rolle“ diesem Spiel zugestimmt, hätte nicht genau das gut gefunden. Und es unterstellt, die Macher/-innen des Stückes wären kein Team, das genau solches reflektiert. Allein die Tatsache, dass am Ende eines Theaterstückes das Publikum irritiert ohne Klatschen den Raum verlässt, ist bemerkenswert, – auch wenn man es nicht goutiert.
Beinah unverschämt am möglichen Kern des Stückes vorbei schleudert Frau Rezensentin, als sie das Fehlen von „Einsichten“, von „Erfahrung“ bemängelt und nur „kunstgewerbliches Bemühen“ attestiert. Soll das etwa heißen, man möchte im Theater gefälligst mit Einsichten und Erfahrung beliefert werden, die man dann begeistert beklatscht und über die man dann beim Gläschen irgendwas noch ein bissen gebildet daherquatscht, sich dann wieder ungerührt dem Drama des eigenen Lebens hinzugeben, ohne zu merken, dass es eins ist? Theater als Emotionenlieferant für die Gebildeten, die wohlhabend genug sind, sich solcherart Lieferservice leisten zu können.
Vollendete Entwaffnung dann bei der Schluss“pointe“, das Stück sei albern genug, in Berlin gefeiert werden zu können, nicht aber geeignet für das „ehrliche“ Ruhrgebiet. Solcherart realitätsferne Verkitschisierung möge man doch bitte Wolle Petry und Herbert Grönemeyer überlassen!
Was nun? Na ja, z.B.  einfach etwas mehr Zeit nehmen und zunächst mal über den Titel nachdenken. In diesem Fall: „Medea.Matrix“. Vielleicht stellt sich dann das, was man gerne „Bilderflut“ nennen möchte, anders dar, erst recht dann, wenn man sich erinnert, dass die Bildthemen sich jeweils ausgehend von einer Projektionsfläche auf die anderen verteilen, solange bis alle erfasst sind, und man eben gerade nicht von Bilderflut sprechen kann.

Trotzkopfdumme Idiotie.
Total angespannt.
Trotzdem zu spät.
Nur halt 1 Minute weniger.
Scheiß-Foto mit scheiße verkniffenem Gesichtsausdruck.
30 €.

Kuba

Erst Ry Cooder
Dann der Papst
Dann Obama.
Dann die Stones.
Jetzt wir.
Meinesgleichen fährt nach Kuba. Gerade so öko und gerade so links, dass der eigene Wohlstand weder gedanklich noch gar materiell in Gefahr gerät, erliegen wir jetzt, wo das Land von der freien Welt erobert wird, dem Reiz einer noch irgendwie unschuldigen Welt. Wir sind die Vorhut. Erfreuen uns an der Aufbruchstimmung im Land. Freuen uns, dass die Menschen anfangen aufzuhören, ihr Land verkommen zu lassen. Freuen uns, dass sie jetzt die Bürgersteige fegen, über die wir dann zur nächsten schon fast vergessenen Sehenswürdigkeit schlendern. Erzählen zu Hause, dass man jetzt dorthin kann. Verschweigen, dass man schon lange dorthin kann, dass es nur halt deutlich mühsamer war. Zuviel Abenteuer für uns Toscana-Verwöhnte.
Wenn die Geheimtipps von heute zum Ballermann von morgen verkommen sein werden, werden wir wieder hinfahren. Mountain-Bike-Touren machen zu den speziellen Orten, die noch nicht so touristisch sind. Wo man noch das (jetzt liebevoll für uns restaurierte) alte Kuba sieht und erlebt. Und abends wieder auf das ebenfalls frisch restaurierte kleine Landgut zurückkehren, auf dem wir zugucken können, wie biologischer Tabak angebaut und fair getradet wird. In Südfrankreich und in der Toscana werden sie neue Touristenlabels entwickeln müssen.
Wann fahre ich hin?
Wann werden Rumänien und Bulgarien (endlich?) soweit sein?

Froggy The Trans

Die Sonne lässt das Städtchen quirlig plappernd noch einmal Sommer spielen.
Die Eisdiele ist voll besetzt. Hauptsächlich frisch Pensionierte mit hastig für einen letzten Einsatz dieses Jahr aufgebügelten kurzärmligen Hemden. Im Wohlgefühl des Wohlversorgtseins schaut man in die Einkaufsstraße hinein. Westfälisches Lächeln (eines, das man nicht sieht). Immer auf dem Sprung, einer irgendwie auffälligen Person ein irgendwie abfälliges Mundwinkelziehen hinterherzuschicken.
Vis à vis, – mittendrin im abtaxierten Blickfeld, sitzt eine Roma-Frau und bettelt. Die Pensionäre versuchen so zu tun, als wäre sie nicht da. Ein Lächeln, das man nicht sieht. Eine Bettlerin, die man nicht sieht.
Ich quirle auch. Auf diese Szenerie zu. Rechts die Eisdiele. Links die Romafrau. Vor mir eine skurrile Gestalt. Ein vielleicht 60jähriger Mann. Seine schon recht lichten Haare sind hell violett gefärbt. Er trägt ein T-Shirt. Auf dem Rücken steht, handgemalt: Froggy The Trans. Flatterige Schlabberbuchse. Barfuß in Schlappen. Links an der Schulter hängt eine Jutetasche mit Kuba-Flagge.
Leicht vorgebeugt geht er mit strammem Schritt an der Eisdiele entlang, als müsste er wo hin. Plötzlich fängt er lauthals an zu singen: „VÖLKER HÖRT –  DIE – SIGNA-LE“. Keine Ahnung, welchen Schalter in mir das umlegt. Jedenfalls singe ich laut mit „AUF ZUM LET – ZTEN GEFECHT“ .
Ich erschrecke vor mir selbst. Das bin nicht ich. Um Gottes willen, – ich mache mich total peinlich. Am liebsten würde ich sofort wieder aufhören und hoffen, dass es keiner mitgekriegt hat. Aber das geht auch nicht. Ich will nicht, dass Froggy mich für feige hält. Also singe ich laut weiter. Zum Glück belässt es Froggy beim Refrain. Nach „ME – NENSCHENRECHT“ ist Schluss.
Ich bin nassgeschwitzt. Kann mich nicht in Luft auflösen.
Plötzlich dreht Froggy sich um und maunzt in breitem Berlinerisch: Na, det hasse abba noch janz schön jut drauf, wa?!
Und eilt weiter.

Er sitzt mir über Eck gegenüber. An seinem Stammplatz am Kopf des Esstisches. Ich brauche eine ganze Weile, bis ich begreife, wirklich be-greife, dass wir nicht mehr wie gewohnt mit einander reden können. Mein Vater sagt manchmal noch mit großer Mühe und angestrengter Selbstkontrolle ein, zwei Wörter. Anfangs rede ich dagegen an. Ich spreche langsamer, deutlicher, lauter. Als würde das irgendwas ändern. Strenge mich genauso an wie er. Bin verzweifelt, weil ich anerkennen muss, dass es so nicht mehr geht.
Dann nehme ich seine Hand. Er greift energisch zu. Seine Hand ist noch viel kraftvoller als seine Zunge. Er legt sogar die andere Hand dazu. Er strahlt. Wir schweigen. Und lächeln. Mehr braucht es in diesem Augenblick nicht.

Was ich von da an sage, sage ich nicht um einer gesprochenen Antwort willen.
Endlich bin ich – erleichtert – auf dem Weg zu ihm.

Trumpism

Die CSU verabschiedet im Zusammenhang mit einer Klausurtagung ein Grundsatzpapier. Darin Aussagen zur „Flüchtlingsproblematik“. „Obergrenze, Obergrenze, Obergrenze“. „Vorrang für Zuwanderer aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis“, „Konsequente Rückführung“, „Burkaverbot“, „Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft“.

Ist das jetzt noch ein, wenn auch auf krude Art, an der realen Gestaltung von wirklichem gesellschaftlichem Leben, orientiertes Denken? Oder ist das schon Trumpism? Auch als CSU-Politiker/-in kann man doch nicht so dumm sein, zu denken, all das wäre realisierbar, wenn man schon so verrückt ist, es als wünschenswert anzusehen.
Denn:
Wie genau hätte man sich die Obergrenze vorzustellen? Dass ein bayrischer Grenzbeamter einer Familie mit zerschlissenen Taschen, in denen nur noch das Allernötigste ist, in schlechtem Englisch, das die Verzweifelten vielleicht auch nicht verstehen, und das er dann mit hektischem Armrudern untermalt, mitteilt: „Du, Wannhandretneintieneinßausendwannhandredneintiäit, du 199199, und du 200000. Er sieht die ratlosen Gesichter. Malt die Zahlen auf die Rückseite seines Notizbuches. Mehr geht nicht. Die restlichen zwei zurück. Wer wären die dann? Zwei der Kinder? Die Eltern? Oder Vater und ältester Sohn?
Vorrang für Zuwanderer aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis. Wer wäre das? Flüchtlinge aus Italien? Vor was würden die flüchten? Oder aus der Ukraine? Dürften sie bleiben, auch wenn sich herausstellt, dass sie Moslems sind? Weil sie ja geografisch aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis kommen?
„Konsequente Rückführung“? Die gibt es schon. Wenn der Asylantrag abgelehnt ist oder eine Person kriminell geworden ist. Nur ist selbst das eben nicht so einfach, weil es internationales Recht gibt. Und es ist gut so. Denn wohin sollte man Menschen ausfliegen, die vielleicht keine Papiere haben, warum auch immer, und deren Herkunftsländer dann die Einreise ablehnen? Riesige Lager auf nicht-territorialem Niemandsland entlang der Grenzen des christlich-abendländischen Kulturkreises? Bewacht von Frontex? Mit Waffen am Ende?
„Burka-Verbot“? Gibt es Frauen, die im Alltag in Deutschland Burka tragen? Sind es so viele, dass das überhaupt als Problem erkennbar ist, wenn es denn eins wäre? Was sagen die Geschäftsführer der Münchener Edel-Boutiquen dazu, die ihre Geschäfte auch für genau diese zahlungskräftige Klientel eingerichtet haben? Was sagt der Bademeister dazu, der dann, wenn er die Frau im Burkini sieht, die Polizei rufen soll. Und was sagt die Polizistin dann? Oder was sagen die Passanten, wenn der Bademeister die Polizei nicht ruft?
Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Da erhält der Malergeselle, der irgendwann die doppelte Staatsbürgerschaft beantragt hatte, weil er sich eben mit beidem identifiziert: Seiner Heimat, dem Land in dem er lebt, und dem Land, aus dem seine Eltern kommen, ein Schreiben: „Sehr geehrter Herr Yilmaz. Nach § X sind sie verpflichtet, eine Ihrer Staatsbürgerschaften wieder abzugeben. Bitte entscheiden Sie binnen einer Frist von 4 Wochen ab Zustellung, welche Sie weiterhin behalten, …“, – oder wird gleich die deutsche aberkannt? Sollten Sie ein ausgewiesener IT-Experte sein, bitten wir um kurzfristige Kontaktaufnahme.“
Was würden das Bundes-Verfassungsgericht und der europäische Gerichtshof zu Beidem sagen?
Erinnert sich noch jemand an die Maut?
Ist sie noch auf dem Weg? Kommt sie? Oder hat man sich auch in der CSU schon davon verabschiedet, eine dumpf dräuende Wahlkampfwaffe mit Namen „Ausländermaut“ auch in die Realität zu übersetzen, weil – was man von Anfang an vermuten durfte – sie eben nicht geht? Oder bauen alle darauf, dass sie nach der nächsten Bundestagswahl eh vom Tisch ist. Ging es bei der Maut um das Realisieren wirklicher Projekte?
Dieses CSU-Papier dokumentiert ein an der realen Gestaltung des wirklichen Lebens interessiertes Denken jedenfalls  nicht. Es ist Trumpism.
Passend dazu Trumpism light: Die „Debatte“, die man kaum so nennen mag, um das „Leitbild“. Warum drängt sich bloß bei mir immer das „d“ dazwischen? Leidbild. „Unsere Werte“, die da leiten sollen, welche sind das? Sind es Demokratie, Menschenwürde, Toleranz, Freiheit? Oder sind es „den Staat bei Steuern bescheißen, wo es irgend geht und gleichzeitig verlangen, dass die öffentliche Verwaltung wie am Schnürchen, am besten noch zu meinen Gunsten funktionert“, „die Freiheit am Hindukusch verteidigen und sie zugleich in den Schulen verkommen lassen“, „langsam fahrende Autos per Lichthupe von der linken Spur zu pesten“, „Tod dem S04-BVB an irgendeine Autobahnbrücke“ zu sprühen, halt eben das, was uns an offenbar das Handeln leitender Kultur tagtäglich so begegnet? Vielleicht auch der alkoholschwangere Männerdunst im bayerischen Bierzelt? Vielleicht auch der erbitterte Kampf gegen die Forensik in der eigenen Stadt, wo doch jeder wissen könnte, dass der weitaus größte Teil der Sexualdelikte im Schutz der Familie geschieht? Die ja sicher auch unter den Leitbild-Schutz fällt.
Es kann bei diesem Leitbild-Geschwätz nicht um das reale Gestalten einer demokratischen Gesellschaft gehen. Es kann nur darum gehen, all den warum auch immer Enttäuschten in ihrem haltlosen Schlingern bei der Suche nach Schuldigen Wort-Nahrung zu geben, die ihren Geist aufpeitscht, aber nicht ernährt. Ich weiß nicht, was ich will, schon gar nicht, was mein Nachbar will, aber ich weiß wenigstens, wer schuld ist daran, dass ich es nicht habe: Die Burka. Der Moslem. Der Afrikaner. Der „Gutmensch“. „Die Lügenpresse“. Wenn so ein Wort erstmal in der Welt ist mit dem Beigeschmack der Schuld, dann wird es diskutiert, zitiert, bestätigt, millionenfach mit scheinbarem Sinn aufgepumpt und darf gemampft werden wie ein wabbeliger Burger. Und wenn es ausgelutscht ist, muss ein neues her, ein schärferes. Z.B. das Wort „Bürgerkrieg“, dass Frauke Petry in den verregneten Himmel raunzt.
Es ist verrückt. Am Ende scheitert womöglich eine Kanzlerin, die nach konkreten Lösungen für unsere gesellschaftliches Leben sucht, daran, dass sie das überhaupt tut. Dass sie pragmatisch und realistisch agiert. Die uns zutraut, dass wir es schaffen. Nicht weil sie zur CDU gehört, sondern weil sie sich dem stinkenden auf-den-Acker-Sabbern von sinnlosem Parolen-Dünger verweigert. Es gibt für mich kaum etwas Abwegigeres als CDU zu wählen, aber heute hatte ich mal (kurz!) das Gefühl, ich könnte bei der nächsten Wahl genau deshalb genau das tun.
Wenn es nun aber um das wirkliche Gestalten der wirklichen Wirklichkeit gar nicht geht. Worum dann? Die Protagonisten der Lauthalsigkeit, … wollen sie tatsächlich einfach nur die Macht erhalten, ohne damit die Vorstellung von Gestaltung zu verbinden? Und warum Macht? Geht es am Ende womöglich darum, sich bedeutsam zu fühlen? Dem großen informationellen Alles, ein kleines Stück Land, ein kleines Stück Wichtigkeit abzugewinnen? Um nicht als informationelles Nichts zu verdunsten? Verkneten sie deshalb vermutete Befindlichkeiten „des Volkes“ zu griffigen Schlagworten, die eine Zeitlang Bedeutsamkeit vorspiegeln? Schieben sie sich deshalb vors Mikrofon oder gegelt und hornbebrillt hinter dem großen Vorsitzenden ins Bild, wenn es heißt, dieses ihr CSU-Grundsatzprogramm zu „erklären“?

Angenommen, Leif-Erik Holm, der Spitzen-Kandidat der AfD in Mecklenburg-Vorpommern, der als Gewinner der Landtagswahl am Morgen danach im Morgenmagazin auf WDR 5 interviewt wird, – angenommen dieser Kandidat hat nicht die halbe Nacht Kreide gefressen, damit ihm bloß nicht das rausrutscht, was die AfD so viele Stimmen hat gewinnen lassen. Angenommen, dass dieser Kandidat nicht zynisch genug ist, genau das in seinem öffentlichen Radio-Reden wegzulassen, wovon er weiß, dass es ekelig ist: Hetze gegen Islam, Hetze gegen die Bundeskanzlerin, die schuld an der Flüchtlingsflut ist, Hetze gegen Schwule, Hetze gegen die Lügenpresse. Angenommen also, Herr Holm meinte ernst, was er sagte, nämlich, dass die AfD ihren nunmehr gewachsenen Einfluss für eine bessere Landespolitik nutzen wolle. Angenommen er will tatsächlich dazu beitragen, dass, wie er in diesem Interview sagt, Familien gefördert werden, dass die Ansiedelung von Betrieben in MV forciert wird, dass mehr dafür getan wird, dass nicht so viele junge Menschen aus MV abwandern und das Land vergreist, dass mehr für die Bildung in MV getan wird.
Das alles angenommen, dann: Respekt! So konsequent hat noch keine der sogenannten Protestparteien daran gearbeitet, den Anspruch, dereinst eben nicht politisch vollgefressen im Sumpf der sogenannten etablierten Parteien zu landen, auch in die Tat umzusetzen. Sich nicht vom Virus der Macht anstecken zu lassen. Denn: Etwas dafür tun, dass mehr junge Menschen in MV bleiben, die Klientel also, bei denen der Anteil an AfD-Wählern am geringsten ist. Und dann auch noch etwas für die Bildung zu tun, was, je mehr man im Besitz von ihr ist, die Neigung AfD zu wählen erwiesenermaßen auch nicht gerade steigen lässt. Wenn das alles so ist. Respekt! Die AfD arbeitet vom Morgen nach der Wahl an konsequent daran, sich selbst wieder überflüssig zu machen.
Unglücklicherweise habe ich aber auch ein paar Nebensätze gehört, die den Verdacht nahelegen, dass die Annahme unsinnig ist.
Wahrscheinlich also doch: Kreide.

AFD

Meine Fresse
Mein Land
Meine Frau
Meine Stadt
Mein Vaterland
Mein Volk
Mein Gott
Mein Eid
Mein Kampf
Mein Atomkraftwerk
Meine Prügelstrafe
Mein Gott
Vermeintes Gelände.