fuenfzehn

Immer wieder gibt es Phasen, in denen ich hier nichts veröffentliche.
Ich habe Ideen. Schmiere sie auf Zettel. Korrigiere daran herum. Manchmal landen sie am Ende dann doch im Papierkorb. Manchmal bleiben sie mir als kleine Lichtinseln im Hirn. Erweitern sich. Als würde Denken neues Land an ihre Gestade spülen.
Schreiben hilft beim Denken. Und umgekehrt.
Die Zeit, die das bei mir braucht … . Passt das zu einem Blog? Müsste ich nicht viel regelmäßiger veröffentlichen? Nicht viel schneller auf Impulse reagieren? Abends noch mal schnell ein paar Worte? …
Was für müßige Fragen. Selbst wenn ich müsste, – ich könnte ja nicht. Es will ja erst gedacht und geschrieben werden. Und umgekehrt. Und nochmal umgekehrt.

Im Radio höre ich die Nachricht, dass der IS Schwierigkeiten hat sich zu finanzieren, weil er viele eroberte Gebiete verloren habe und deshalb dort nicht mehr die sonst üblichen Einnahmen durch Abgaben der Bevölkerung habe. Er sei nun zunehmend auf die Einnahmen durch Ölverkäufe angewiesen aus Ölquellen in Syrien, die in erorberten Gebieten lägen. Die Verkäufe aus diesen Quellen seien deshalb auch gesteigert worden.
Hauptabnehmer sei – ich traue meinen Ohren nicht – Assad, das Regime also, das vom IS in Syrien bekämpft wird.
Zuerst bin ich trotzkopfdumm entsetzt über diese perverse Art von Aneinandergekettet-Sein in schmutzigen Deals. Wie kann ein Regime das Öl für die Panzer, mit denen es die Feinde tötet, bei eben diesen Feinden kaufen? Wie können Menschen Öl an diejenigen verkaufen, die damit die Panzer betanken, mit denen sie selber dann getötet werden?
In den Tagen danach legt sich das Entsetzen. Kaltes  Konstatieren der zynischen Logik des Krieges stattdessen. Natürlich ist es nicht „entsetzlich“. Im Gegenteil. Es ist folgerichtig. Es ist einfach ein Geschäft. Öl gegen Tod gegen Leben gegen Tod gegen Öl. Warum sollte ich nur Geschäfte machen mit denen, die auf meiner Seite stehen? Quatsch. Naive antikapitalistische Moral.

Frühling Knospe

 

Frühling

Das erste Mal dies‘ Jahr
Dass ich sie sah:
Kleine Jungblätterbomben
An den Ästen
Am Strauch
Am Weg
Ich musste ganz nah
Ran. Dann konnte
Ich es kichern hören
Das dichtgedrängte
Frische Grün in ihnen.

Ach – ich fühl mich so
anfänglich.

Wie ein Ja.

Glaube, Liebe, Hoffnung

Die diversen „…gidas“, Wilders, Trump, Le Pen, Farage und der Brexit, die AFD, …, es scheint zu einer eleganten Selbstverständlichkeit geworden zu sein, die politische Kultur, die mit diesen und anderen Namen einhergeht, als postfaktisch zu bezeichnen. Bisweilen liest und hört man auch, das Zeitalter des Postfaktischen sei angebrochen.
Das nun würde implizieren, es habe ein „faktisches Zeitalter“ gegeben. Vorher. Geprägt von einer politischen Kultur der Orientierung an Fakten.
Unmittelbar fällt mir mein Vater ein. Seine beiden Lieblingssprüche, die mit schöner Regelmäßigkeit die rebellische Haltung des noch jungen Sohnes dämpfen sollten, waren:
„Du kannst ja nach drüben gehen, wenn es dir hier nicht passt.“ Und: „Wer mit 17 kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit 25 noch immer Kommunist ist, hat keinen Verstand.“
Da war sie wieder, die Keule „Verstand“. Wer die Fakten richtig „lese“, hieß das für mich, könne nicht solchen Träumereien wie dem Kommunismus folgen. Müsse sehen, wie es zugehe in der Welt. Die Fakten analysieren. Und das hieß immer: Den Status Quo akzeptieren und das Beste daraus machen. Für ihn waren Fakten so etwas, wie: Der Russe will den Westen einnehmen und deshalb brauchen wir die Freundschaft zu den USA und die Nato. Deshalb brauchten wir die Einführung der deutschen Bundeswehr. Das sagte ER, dem als 17-Jährigem ein Granatsplitter die halbe Flanke so zerrissen hatte, dass er das nur mit viel Glück überhaupt überlebt hatte. Das sagte auch der Vater meiner damaligen Freundin, dem in Russland beide Füße zur Hälfte abgefroren waren. Zerschossene Flanke, abgefrorene Füße, – denkbar konkrete Fakten. Könnte man meinen. Jedenfalls deutlich faktischer als die Vermutung, der „Russe“ würde sofort in die BRD einmarschieren, wenn er die Möglichkeit eines Sieges sähe.
Es gab noch viele andere solcher „Fakten“, z.B. dass ein Lehrer, der mir wieder mal buchstäblich die Ohren lang gezogen hatte, sicher gute Gründe dafür hatte.
Die sogenannten Fakten sprachen für den größten Teil der Politiker in den 80er Jahren eindeutig für die Sinnhaftigkeit einer forcierten Förderung der Atomkraft. Heute sprechen die sogenannten Fakten selbst für die CDU eindeutig für das Gegenteil. Einen mit Fukushima vergleichbaren vielleicht sogar noch „faktischeren“ Fakt gab es 1986 in Tschernobyl. Dieses Ereignis war aber offenbar noch nicht faktisch genug, um darauf konkret politisch so zu reagieren wie später nach Fukushima.
Mir drängt sich der Gedanke auf, dass das Postfaktische mit solcher sich selbst davon abgrenzenden scheinbar wissenden Eleganz so sehr in den Vordergrund gestellt wird, um schon damit unter Beweis zu stellen, dass aktuelle Politik jenseits von Pegida und Konsorten faktisch orientiert sei.
Und der Gedanke, dass das angeblich Faktische schon immer nicht so faktisch war, wie es daher kam. Dass im Gegenteil die etablierte sogenannte Demokratie und die einflussreichen Akteure in ihr immer perfekter darin geworden sind, ihr Handeln mit sogenannten Fakten scheinbar zu begründen. Und eigentlich immer zum Nachteil derer, deren faktisches Leben nicht gerade gut aufgehoben war und ist in den daraus folgenden Entscheidungen. Natürlich waren es die Fakten, die die Agenda 2010 gebaren, natürlich waren es die Fakten, die die Rettung der systemrelevanten Banken notwendig machten. Natürlich sollen es Fakten sein, die eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen erzwingen.
Ich empfinde bitteren Überdruss daran. Ich empfinde Überdruss an diesem Schmuddelspiel. Überdruss an dieser Art von Erosion des demokratischen Gedankens. Überdruss daran, dass Lobbyisten Gesetzestexte schreiben, die danach demokratisch entschieden und dann mit den und den Fakten „verkauft“ werden. Was sind das für Fakten, die seit mehr als fast 40 Jahren Krieg in Afghanistan begründen? Immer wieder aufs Neue und in neuen Wendungen, aber: Krieg. Menschen sterben. Massenhaft. Und immer wieder und aufs Neue ohne das am Anfang faktisch imaginierte friedliche Ergebnis. Die Fakten sprechen ja eine klare Sprache: Krieg. Seit 40 Jahren.
Fakt: Soziale Ungerechtigkeit des Bildungssystem, – seit weiß der Henker wieviel Jahren …
Fakt: Ausrottung von Tieren. Fakt: Ein von der EU nach Namibia exportiertes Huhn ist billiger als eines, das dort gelebt hat. Fakt: Jede SMS, die ich schreibe, ist bezahlt mit dem Blut derer, die für die Gewinnung der Rohstoffe für mein Handy rigoros ausgebeutet werden. Fakt: Scheiß auf den Klimawandel, wenn Vatti im SUV trotzkopfdumm am Morgen im Winter vor der Bäckerei mal eben den Wagen laufen lässt, damit er schön warm bleibt. Offenbar aber alles Fakten, die nicht faktisch genug sind.
Der Durchmesser eines Moleküls vom Molekül vom Molekül lässt sich heute auf drei Stellen hinter dem Komma genau berechnen, aber offenbar nicht, ob die Maut nun so und so viel oder so und so viel oder womöglich sogar gar nix einbringt.
Ja, – Überdruss ist das, was ich empfinde. Und fast schäme ich mich ein bisschen, wenn ich weiter denke und mir vorstelle, dass es vielleicht sogar ein ähnlicher Überdruss ist, der die Anhänger der Le Pens und der Gaulands (was für ein Name!) und der Orbans ebendiese auf beängstigend gute Wahlergebnisse oder sogar in Wahlsiege schiebt.
Ein Gefühl schon seit Nineeleven. Dass nämlich die von der erodierten Demokratie der Nestles, der Krauss-Maffei Wegmanns, der Exons, der Lehmanns, der McDonalds Verratenen aufstehen und wild verzweifelt dieser erodierten Demokratie etwas entgegenzusetzen versuchen, – hier, im sogenannten freien Westen, wie dort im sogenannten nahen Osten: Den Glauben an etwas Besseres als die sogenannte Welt der Fakten. Den Glauben an Ideale. Die Hoffnung auf eine bessere Welt. Nichts weniger. Und wenn schon nicht hier, dann wenigstens im Paradies. Und wenn schon nicht überall, dann wenigstens bei uns.
Vielleicht ist es am Anfang, so gedacht, sogar – zynisch genug!  – ein verständlicher Impuls, den sogenannten freien Medien nicht mehr vertrauen zu wollen. Wie auch ich es nicht mehr getan habe seit Nineelven. Da nämlich begann, dass ich von eben diesen freien faktenorientierten Medien bombardiert wurde mit Bilden des hässlichen Islam. Hysterische Langbärtige, die Fahnen verbrennen, arabisch in Mikrofone brüllen, lächerliche weiße Nachthemden tragen. Und mitteilen sollen: Ich, der ich das sehe, bin vernünftig, faktisch, besonnen, friedlich. Die da sind unvernünftig, religiös fanatisch, verirrt, brutal. Ist es am Ende nur eine verzweifelte Behauptung der sogenannten freien Medien? Wir sind faktisch und der Wahrheit verpflichtet, – die da nicht. Wir geißeln das Postfaktische um unsere Arbeit als faktisch und der Wahrheit verpflichtet aussehen lassen zu können.
Kürzlich sitze ich mit meinen Tenniskumpels beim Bier danach. Im Hintergrund läuft die Verabschiedung des Präsidenten Gauck. Gebührend beweihräuchert. Ich wende mich ab mit dem Satz: „Oh Gott, den ertrag ich nicht.“ „Wieso?“, staunen mich die Kumpels mit runden Gesichtern an. Ich schimpfe – ganz „postfaktisch“ – über seine Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz von, – war das 2015? Wo er mit salbungsvoll pastoralen Worten Europa und Deutschland daran erinnert, mehr Verantwortung übernehmen zu müssen in der Welt. Auch militärisch.
Darauf entspinnt sich eine Diskussion. Na ja, es stimme ja schließlich, dass die Europäer sich immer von den Amerikanern auf den Schlachtfeldern dieser Welt verteidigen ließen. Dass diese Europäer nur bescheidene Beiträge leisteten – oder auch gar keine. Dass sie aber eben noch weit entfernt seien von den einmal von der Nato beschlossenen 2% Anteil am Bruttosozialprodukt, die für Rüstung auszugeben wären. Von daher sei es doch verständlich, …
Das kann ich alles, sage ich, nicht beurteilen und habe dazu auch keine Meinung. Was ich aber weiß, sage ich, ist, dass dieser Präsident verschweigt, was sein Aufruf letztlich heißt, nämlich junge Menschen in den Tod zu schicken. Hier wie dort. Du … tot. Und Du … tot. Und Dein Sohn … tot. Und dieses Verschweigen, zumal von einem ehemaligen Pastor, der Freiheit und Mitmenschlichkeit predigt, das hasse ich.
Die Gesichter werden noch runder. Ähneln zunehmend dem von meinem Vater. Sie sagen es nicht, aber sie senden es: Mein Gott, bist du naiv.
Da ist sie wieder, die sogenannte nicht postfaktische Mechanik. Ein Wüterich in den USA, an die Macht gespült vom sogenannten Postfaktischen infiziert die Welt mit dieser Zahl. 2%. Und schon wird damit von Politiker/-innen, wie von Tennis-Kumpels scheinbar faktisch argumentiert.
Ich weiß damit kaum umzugehen. Vielleicht am ehesten so:
Dass ich um Ideale werbe, um Mitmenschlichkeit, um Wahrheit, um Empathie und Aufmerksamkeit für das Leid, wo und wie auch immer es sich mir zeigt. Nicht um eine scheinbar faktisch belegte, glatte, kaum bezweifelbare, eingemauerte Wahrheit. Nein, um eine, die den Zweifel atmet, die Bitte um Mit-Denken, das Eingestehen des Nicht-Wissens, den Versuchscharakter.
„Glaube, Liebe, Hoffnung“ kommt mir in den Sinn, – mir! Der aus der Kirche vor langer Zeit ausgetreten ist!
Und dann träume ich von einer Bewegung der Menschenfreunde. Sie müsste nur leider anders heißen, weil man das so schlecht abkürzen kann.

Geht doch

Zappe am Abend durch die Programme. Bleibe bei Hallenfußball hängen. Ziemlich temporeiche Angelegenheit. Wenige Fouls. Viel Trickserei. Viele Kurzpässe. Gefällt mir.
Einer setzt einen Schuss aus vollem Lauf an die Oberkante der Latte. Von dort prallt er ins Auffangnetz dahinter. Er dreht ab. Mischung aus Ärger und Enttäuschung. Er wendet den Kopf ab, dreht und neigt ihn leicht seitlich, schürzt die Lippen, zieht Luft ein und … – in diesem Moment fällt ihm wohl ein, dass unter ihm kein Rasen ist. Im letzten Moment verkneift er sich das Rotzen.
Geht doch.

Auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Münster spricht auch die Schulministerin des Landes NRW. Silvia Löhrmann. Sie ruft in den Saal, verstärkt vom pumpenden Auf und Ab der Arme: „Wir wollen doch, dass jedes Kind glaubt, dass es gleiche Chancen hat“. Ach so. Die Kinder sollen es nur glauben. Sie müssen es gar nicht erleben. Ja dann.

Herbstlaub und Schaukel

Herbst

Ein Sommer winkt nochmal und geht
Er schaut sich um dabei und sieht
Dass wir uns schon ein bisschen quälen
Er lacht und ruft zurück: Wann wollt ihr denn von mir erzählen?

Ich erfahre durch Radionachrichten, dass bei einem Rekatorunfall in den brüchigen Blöcken in Tihange die gesamte Region um Aachen herum verstrahlt sein könnte. Dass für diesen Fall eine beträchtliche Anzahl von Schutzmasken gelagert sind.
Allerdings sind keine für Kinder dabei. Erfahre ich.
Warum wundert mich das nicht?

Großstadt-Hotel

Werde viel zu früh wach. Schon faucht und rüplst und knurrt die Stadt. Wahrscheinlich verdaut sie das Gestern. Und mampft schon das Heute. Mich auch. Ob sie zur Gattung der Wiederkäuer gehört?
Ich frage mich, was wohl Ameisen hören, wenn sie wach werden.
Und vieles mehr in dieser Art.
Bis ich mich endlich aus dem Bett quäle, durchs Dunkel tappse und das Fenster schließe.
Wieder in wattige Stille gehüllt, atme ich auf.
Und schlafe tatsächlich doch nochmal ein.

889

Im Supermarkt beobachte ich einen Vater mit seiner kleinen Tochter. Er fragt sie, ob er auch Orangen kaufen solle. Ja, ruft sie, aber ich will die Nummer eintippen an der Waage. Die Nummer! Ich will sie eintippen. Wie ist die Nummer. Acht-acht-neun, brummelt der Vater. Das Mädchen fängt an mit tänzelnden Seitwärtsschritten hin- und herzuwippen. Dabei ruft sie rhythmisch „Acht-Acht-Neun“. Kleine Pause. „Acht-Acht-Neun“. Das geht eine ganze Weile so. Schließlich darf sie endlich zur Waage. Sie kommt nicht an das Tippfeld auf dem Bildschirm. Vater hebt sie hoch. „Acht-Acht-Neun“ tippt sie genauso ryhthmisch ein, wie sie es vorher getanzt hat. So einfach geht Lernen.