November
Weiter unten stellt man fest: So trist ist er gar nicht, wie er am Himmel behauptet.
Weiter unten stellt man fest: So trist ist er gar nicht, wie er am Himmel behauptet.
Die Wahl ist vorbei.
(Soll man sagen: Endlich?)
Na dann: … machen, machen, machen
Wir werden einen kleinen Ausflug machen. Ich weiß nur noch nicht, wohin. Zu Mc Donalds? Oder zu einem schönen neuen Schottergarten? Oder zur Autobahnraststätte?
Im Auto hören wir einen Bericht aus Zwickau. Dort hing ein grünes Plakat der rechsradikalen Vereinigung „der dritte Weg“ mit einer großen Headline: „Hängt die Grünen“. (Darunter, so lese ich später bei der Recherche zu diesem Text, sehr viel kleiner eine Erklärung, aus der hervorgehen könnte, dass mit dem Spruch die – eben grünen – Plakate gemeint sein könnten. Wenn diese Nazis nicht so dumpf wären, könnte man es clever nennen.)
Der kleine Nager und ich erfahren, dass die Bürgermeisterin von Zwickau dafür gesorgt habe, dass die Plakate abgehängt wurden. Die Staatsanwaltschaft Zwickau aber sehe im Gegenteil keinen Anlass, dass die Plakate entfernt werden müssten. Das Verwaltungsgericht Chemnitz habe das in einer Eilentscheidung bestätigt, zusätzlich aber verfügt, dass diese Plakate mindestens 100 Meter entfernt von der sonstigen Wahlwerbung hängen müssten.
‚Schade, dass ich kein Kabarettist bin‘, denke ich.
Hm, – Verwaltungsgericht Chemnitz, – wäre das nicht auch eine gute Adresse für meine/n kleine/n Beifahrer:in.
Aber Chemnitz wäre nun wirklich zu weit. Außerdem möchte ich dem süßen Kleinen das nun wirklich nicht antun.
In einem Waldstück hinter der Raststätte lasse ich ihn frei. Neben den Käfig habe ich vor dem Öffnen noch ein bisschen Käse gelegt. Vielleicht hat er ja Lust, seine Freilassung mit einem kleinen Freudenmahl zu feiern. (Und ich kann ihn zum Abschied nochmal fotografieren.)
Während ich an der Klappe herumnestel, fiept er wieder. In seiner Welt sind es wahrscheinlich Schreie, denke ich. Als Klage? Aus Angst? Aus Zorn?
Als er entdeckt, dass die Klappe wieder auf ist, ist er, schneller als ich gucken kann, ins Gestrüpp gejagt. Keine Freudenmahlzeit. Kein Abschiedsfoto. Kein neuer Laut. Den ich Romantiker zu einem Freudenschrei interpretieren könnte. Nur noch ein wenig Geraschel.
Eine geradezu werthereske Szene von berührender Intimität.
Ein Mann. Des Nachts. An einem Schreibtisch.
Sein Blick ist ernst, fast schwermütig.
Das müde Licht – wie von einer Kerze – erhellt kaum das gefaltete Blatt Papier, das er von Hand beschreibt und dem sich sein welker Blick zuwendet.
Sein Körper biegt sich unter der Last, die seine Seele trägt.
Jetzt also Armin Laschet, der da im Häme-Schauer steht. Ohne Schirm.
Ein mächtiges Bild: Der Kanzlerkandidat, der im eigens beschafften schicken Regelmantel inmitten der Reste einer zutiefst bedrückenden Katastrophe zwei, drei um ihn herumstehenden Männern beim rotwangigen Kichern die Zungenspitze keck aus dem Lachgesicht entgegenstreckt, während vor ihm der Bundespräsident mit ernster Miene sein tiefes Mitgefühl ausspricht.
In meiner Geschichte gibt es auch solche Momente, die sich als fauliger Erinnerungssud ins Gemüt senken und ein Leben lang, wenn die Verdrängungsdecke wieder mal durch irgendeinen Anlass aufgebrochen wird und ihren ekeligen Dunst ins Bewusstsein aufsteigen lässt, kaum erträglich wundes Schämen aufquellen lassen.
Ich fühle Scham. Weil ich es kenne. Solche Momente. Sogar das hilflose Entschuldigen, das keines ist, sondern nur die Qual des Erinnerns kleiner machen soll, kenne ich.
Wie so vieles andere, das ich bei Armin Laschet beobachte. Den merkwürdigen Gegensatz zwischen Handeln und öffentlichem Reden zum Beispiel. Hier die zölibatäre Zögerlichkeit, die sich nicht in die Wildnis des Entscheidens stürzen möchte. Dort der verbal versuchte und dann doch irgendwie nicht gelingen wollende, gerne mit geballten Fäusten unterstützte, Eindruck der Tatkraft. Er sagt „Ich werde entschlossen kämpfen“. Und im selben Moment sehe ich den etwas zu klein geratenen, fleißigen und braven Schüler, der ganz überrascht ist, dass er zum Klassensprecher gewählt wurde und sich fortan immer freut, wenn er bei den Großen mitspielen darf.
All das kenne ich. Er könnte mir nah sein.
Vor ihm war es Anna Lena Baerbock, die ‚gejagt‘ wurde. Auch ihre ‚Vergehen‘ kenne ich. Auch sie könnte mir nah sein. Auch ich habe hier und da mal meinen Lebenslauf geschönt. Unfeine Details weggelassen. Punkte ein klein wenig größer gemacht, auf dass sie Pluspunkte würden. Einnahmen verschwiegen, wo ich sie hätte aufdecken sollen. Anleihen bei den Gedanken anderer als eigene leben lassen. Selbst das kenne ich: Eine Spur zu schnell reden, eilig Kerngedanken hintereinander reihend, wenn ich das Gefühl habe, nicht die Zeit zu haben, in Ruhe Dinge zu erklären. Inklusive der Details, die ich noch nicht so ganz verstehe. Aus dem selbst auferlegten Druck, wissend erscheinen zu müssen. Und auch aus Sorge, ich könnte mir selber Stolpersteine des Denkens vor die Füße legen, auf die mich meine Gesprächspartner dann aufmerksam machen, damit genau das passiert: Stolpern. Das Ganze mit einem ganz leicht nach hinten oben verrutschten Stimmsitz, der verrät: Hier spricht eine, die sich nicht die Zeit nehmen kann, ihre Gedanken in ein stimmiges Verhältnis zu ihren Worten zu bringen.
‚Die Kleine kann es nicht‘ versuchen die Platzhirsche – alles Männer – hinauszuposaunen, ohne dass man die Posaune sieht. Die Lindners, die Klebers. Ihnen folgend die Platzhirsche des Alltags an Stehtischen, in Grillrunden, beim Bier nach dem Sport, – manchmal gar ein kleiner grüner Platzhirsch.
„Die Kleine kann es nicht“ vermittelt auch der dritte Kandidat: Herr Scholz. Ihn aber kenne ich nicht. Beim Versuch ihn wahrzunehmen, entgleitet er. Verschwindet und steht gleichzeitig doch da. Unumstößlich. Fest. Autoritär mit lässiger Geste. Das kenne ich nicht. Höchstens den leidenden, weil unerfüllbaren, Wunsch, auch so zu sein. Wenn ich wieder mal nicht einfach ich sein kann. Dabei hat er auch einiges zu bieten, was dazu taugen würde, ihn – im Regen stehend – medial zu Schau zu stellen. Immerhin gibt es weiterhin gute Gründe zumindest einmal anzunehmen, dass er als Hamburger Bürgermeister eine Rolle spielte dabei, dass das Finanzamt Hamburg der „Warburg Bank“ 47 Millionen Euro Steuerschuld erließ. Und weitere 43 Millionen Euro verjähren lassen wollte. Steuerschuld aus Cum-Ex-Geschäften. Zudem ist er als Bundesfinanzminister zumindest systemisch mitverantwortlich für das, was sich im Stichwort „Wirecard“ an inzwischen bewiesenem milliardenschwerem Betrug verbirgt. Ich finde nur eine Erklärung. Seinem Image schadet es nicht, eben weil er als Mensch nicht erkennbar ist. Und dadurch möglich macht, dass Wähler:innen in ihn hineinprojizieren können, wonach sie sich sehnen: Lösung von Problemen, ohne dass sie selbst mit Veränderung belästigt werden.
Wenn er im Interview auf die Cum-Ex-Geschäfte der Hamburger „Warburg-Bank“, angesprochen wird, sagt er nicht einmal nichts. Und das mit nonchalanter Ironie. Selbst bei hartnäckigen Nachfragen.
Er offenbart sich. Als Kanzler-Schimäre.
Für mich ist das zum Glück unerheblich. Meine Wahl ist einfach. Ich wähle die Kandidatin der Grünen. Ich habe einfach keine Lust mehr auf die alten Säcke.
Ich weiß nicht, ob weil, oder obwohl ich selber einer bin.
P.S.: Kanzler:in kann man nicht können. Auch Herr Scholz nicht. Man kann es nur lernen. Wie, das konnten wir 16 Jahre lang an einer Frau studieren, die zu Anfang „ihrer Ära“ vom damaligen Kanzler mit scheinbar wohlwollender großväterlicher Herrschaftsattitüde noch „mein Mädchen“ genannt wurde.