neunzehn

Scheiß-Natur

Taubenschiss

Zwei fette Kleckse Taubenscheiße auf einer senkrechten Fläche! Einer Tür! Hallo??! Da kann es sich doch nur um einen Akt heimtückischer mutwilliger Verschandelung handeln. Wie muss ich mir das vorstellen??!!:

Zwei Tauben auf dem Dach gegenüber. Wahrscheinlich halbwüchsige Jungs. Sie stacheln sich gegenseitig mit Sprüchen und Neckereien auf. Dann hat einer eine Idee:

Guck, da! Grüne Tür.
Lass dran kacken!
Schlaff‘ße nich!
Klar!
O.k. Lass beide!

Prustendes Kichern.
Die beiden ducken sich und schwingen sich auf. Sofort geben sie richtig Gas. Sie werden Schwung brauchen. Ein paar kräftige Flügelschläge und schon schießen sie Kopf voraus volle Kanne auf die Wand neben der Tür zu. Gefährlich knapp vor der Hauswand drehen sie mit vollem Tempo neunzig Grad nach links und legen sich gleichzeitig auf die Seite. So gleiten sie an der Hauswand entlang. Vor der Tür drehen sie weiter bei und gleichzeitig schwingen sie wieder in Bauchlage. Ihr Hintern zeigt zur Tür. Mit dem ersten Flügelschlag zur Beschleunigung von der Tür weg drücken sie voll ab. Zwei Treffer! Prustendes Lachen. Abklatschen mit dem Flügel.

Voll geil, Alter!

Gândile und Sïnalù

So schön war ihre Welt. Es gab das Hell. Es kam von jenseits der Grenze, von der sie sich immer lieber fernhielten. Aus dem endlosen Raum darüber. Wie ein sanft wogender langsamer Ryhthmus schwoll es an und blieb und schwoll wieder ab. Verband sich mit dem Dunkel unten in ihrer Welt. Sie wogten mit in diesem Rhythmus.
Es gab das Warm weiter oben und das Kühl unter den großen Blättern, zwischen denen dicke Knollen aus dem Gewirr wuchsen, um schließlich jenseits der Grenze in freundlich leuchtendem Rosa das Jenseits der Grenze zu schmückten.
Es gab all die anderen. Kleine Schnecken, die unermüdlich langsam am Rand der Welt entlang krochen und kleine Sprenkel Grün vom Boden lutschten. Es gab diese merkwürdigen zweiflügligen Wimmelwesen. Sie schwammen mit dem blau schimmernden Rücken nach unten. Als wollten sie sich vor dem Hell schützen. Langbeinige zarte Wesen gab es, die oberhalb der Grenze mit kleinen Sprüngen auf ihr tanzten. Oft hatten Gândile und Sïnalù sich gefragt, wie sie sich dort oben auf der Grenze festhalten konnten. Es gab die großen vierfüßigen Schwimmwesen, die sich manchmal elegant senkrecht nach oben stießen, die Grenze berührten, ein Bläschen spuckten und genauso elegant wieder abtauchten.
Sie hatten Nahrung im Überfluss und sie hatten einander. Glücklich streiften sie nebeneinander durch ihre Welt und ließen ihre Körper fluten von dem Genuss zu leben. Nie sollte das enden. Und doch wussten sie, dass genau das bald geschehen sollte. Das Ende. Sie fürchteten es und spürten zugleich beinah sehnsüchtig eine machtvolle Lust, es selbst herbeizuführen. Nichts ängstigte sie mehr als das. Und doch strebten sie nach der Verlockung, die von ihm ausging.
Bei Gândile begann es zuerst. Es wurde ihr merkwürdig eng in ihrem Körper. Erste Zuckungen wanden sich gegen die innere Enge. Immer öfter suchte sie die Nähe der Stängel und Blätter , die aus ihrer Welt hinausragten. Mit jedem neuen Heraufziehen des Hell wurde es stärker. Immer zögerlicher folgte Sïnalù ihr genau dorthin. Würden sie sich trennen müssen? Tiefe Sorge erfüllte sie bei diesem Gedanken.
Schon so lange ging das so und doch war der Moment, als das Ende begann, überraschend. Gândile hielt sich schon an einem Stängel knapp unterhalb der Grenze. Sie würde das Klettern ins Jenseits nicht mehr aufhalten können. Sie versuchte es um seinetwillen, – – und kroch trotzdem weiter.
Sïnalù tat ihr gleich. Es würde ihn das Leben kosten. Nie wollte sie sich von ihm trennen. Und dann tat sie es doch.
Schon hatten ihre ersten Beine vorne am Kopf die Grenze überschritten. Schon begann die Furcht um Sïnalù, der ihr nachkroch, sich aufzulösen in dem unendlichen Drang weiter zu kriechen. Die Zuckungen wurden stärker und drohten mit ihrem unerbittlichen Aufbiegen ihres Körpers sie selbst zu zerreißen. Noch ein sehnsüchtiger Blick zurück zu Sïnalù. Dann gab sie nach. Sie wusste, sie hätte es sonst nicht mehr geschafft. Langsam widerstand sie den Zuckungen und kroch höher und höher. Das Hell gleißte in ihren Körper und trieb sie vorwärts. Oben am Rand des Blattes, an dem sie nun hing, hielt sie inne. Ihre Angst war genauso groß wie ihre Sehnsucht. Dann wieder ein Zucken. Eine kleine Furche in ihrem Nacken platzte auf. Ihr Kopf drängte sich aus ihrem Körper. Immer weiter wand sie sich aus ihrem Körper. War es überhaupt noch ihr Körper? Weiter! Stück für Stück. Die Füße an ihrem Kopf. Ihr Nacken. Ihr Hinterleib. Schon hing sie hilflos fast ganz aus dem, was einmal ihr Leib gewesen war, abwärts. Ängstlich floh ihr Blick durch diese neue Welt. Ihr Beine wogten im Leeren. Sie würde fallen. Wieder eine mächtige Eruption. Wie von selbst bog sich ihr Leib nach oben. Ihre Beine fanden Halt über der Hülle ihres alten Lebens.

Libelle Verwandlung

Sie war nicht gestürzt! Ein Hauch von Erleichterung, die sofort wieder wich, als sie sah, dass ihr Sïnalù gefolgt war. Bis hierher. Er war doch noch nicht so weit! Es würde ihn töten! Auch er hing nun hier oben an dem Blatt und rührte sich nicht. Tiefer Schrecken. Lebte er noch? Bitte beweg dich!, schrie es in ihr. Nichts! Ihr Flehen verhallte im beißenden Hell. Schon riss ihr eigener Körper ihre Aufmerksamkeit wieder an sich. An ihrem Körper begannen sich mächtige Schwingen zu entfalten. Schmerzen wie von Tausenden kleiner Risse. Sie verbanden sich mit dem Schmerz um ihren Gefährten, der leblos neben ihr hing. Sollte diese neue Welt sie empfangen mit dem unerträglichen Leid, Sïnalù verloren zu haben?
Plötzlich ein Zucken neben ihr. Sie nahm alle Kraft zusammen und bewegte ihren Blick in seine Richtung. Wieder ein Zucken. Dann zwei drei vorsichtige Schritte weiter hoch. Ein banges Warten weiter sah sie, dass auch sein Kopf begann aus seinem Leib zu wachsen.

Libelle Verwandlung

Ja. Sïnalù lebte. Eindeutig. Gândile atmete auf. Und erst da bemerkte sie, dass sie die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Atmen! Luft anhalten! Woher wusste sie, wie das ging?

Als das Abebben des inneren Bebens anzeigte, dass ihre Verwandlung fast abgeschlossen war, schauten sie sich voller Liebe an. Gleich würden sie die Schwingen kreisen lassen und ins Hell schweben. Und im selben Moment begann die Erinnerung an ihre schöne alte Welt zu schwinden.

Libelle Verwandlung

 

Du bist ein kleiner Gernegroß

Als ich von diesem merkwürdigen Ort wegfahre, muss ich lächeln. „Du bist mir ja ein trotzkopfdummes Abenteurerlein“, denke ich. Aber nicht mit der üblichen zynischen Verächtlichkeit des Aber gedacht. Eher liebevoll, beiläufig. Ein hingehauchter selbstironischer Gedanke, der mir mit einer freundschaftlichen Geste einen Arm um die Schulter legt.

Ein paar Tage vorher hatte ich dieses Gebäude von der Schnellstraße aus gesehen. Wie gemein! Diese faszinierend abstoßende Gebäudeverlockung, die nach Blicken lechzt. Und genau die müssen aber der Straße gelten. Zugleich keine Chance, hier – und sei es in fußläufiger Nähe – mal eben anzuhalten. Ich nehme mir vor, noch einmal hierhin zurückzukommen, um Fotos zu machen.
Was ich im Vorbeifahren erkennen kann, ist eine futuristische Bauruine. Kurz vor der Fertigstellung und schon dabei zu verwahrlosen. Zahllose spinnenbeinig hochgewinkelte Stützen an den Seiten halten helle Seitenwände und ein Dach. Das Unkraut, das offenbar unbehelligt aber gerade noch ausreichend mit Licht versorgt, in dem riesigen Innenraum auf dem Boden schon recht hoch wächst. Eine nicht mehr genutzte, jung ergraute Hütte an einer Art Baustellen-Einfahrt, die aber schon lange keine Fahrzeuge mehr hat einfahren, dafür aber wilde Pflanzen hat wachsen lassen, die es auch auf solchem geröllrümpeligem Boden schaffen. Löcher in den Seitenwänden, die noch auf den Verbau von Türen warten. Oben an den Seitenwänden kleinere Löcher, die auf nichts mehr warten. Das ganze Ensemble eine lichte dark-future-Inszenierung. Oder die abgefahrene, wirkliche Welt gewordene Kulisse einer Techno-Oper. Ein Baustellen-Schild, dem wir, selbst wenn wir gut genug Italienisch könnten, im Vorbeifahren gar nichts entnehmen können.

Matera leer stehende Kompostierhalle

Ein paar Tage später mache ich mich frühmorgens tatsächlich auf. Zwei frisch aufgeladene Akkus. Extra-Speicherkarte. Wasser. Eine lange Hose, falls ich durch Gestrüpp muss, um ins Innere der Halle zu gelangen.

Schon das, was mir selbstverständlich und einfach vorkommt, wird schwierig: Die Halle überhaupt wiederzufinden. Ich hatte sie ungefähr 15 Kilometer vor unserem Ziel in Erinnerung. In Wahrheit, so stellt sich heraus, sind es fast 30 Kilometer. Nach vielen glücklichen Zufällen und Gedankentänzchen wie „ist das nicht diese eine Baustelle?“, „Moment, diese rote Gebäude, das war doch damals auch …“, „müsste die Straße nicht jetzt einspurig werden?“, „nein, hier ist das nicht, dreh wieder um“, „ach, du kannst ja auch einfach nochmal bis zur nächsten Hauptabzweigung weiterfahren,“ liegt sie plötzlich wieder da, in ihrer ganzen skurrilen Erscheinung. Ich fahre zweimal in Gegenrichtung   vorbei. Dann finde ich tatsächlich eine parallel zur Hauptstraße führende kleine Straße, die genau zur der Halle führt. Ganz kurz vor dem Empfangshäuschen bin ich fiebrig glücklich. Dann aber erschrecke ich. Als ich in der Einfahrt halte, werde ich vom düsteren Gebell mehrerer großer Hunde empfangen. Blinkende Reißgebisse. Wütendes Kieferklappen. Abwechselnd mit grimmig grollendem Knurren, die Lefzen gerade so hoch gezogen, dass ich einen sehr überzeugenden Eindruck von sehr scharfen Zähnen bekomme. Die beiden Hunde, die ich genauer sehen kann, scheinen mir angekettet.
Erschrocken und enttäuscht drehe ich den Wagen und fahre erst einmal ein Stückchen weg. Ich stoppe den Motor, überprüfe die Kamera, steige aus und gehe vorsichtig los. Gedanken rasen um die Wette. Die Piste, auf der sie hetzen, ist meine uralte große Angst vor Hunden. „Aber wenn sie angekettet sind, könnte ich ja vielleicht dran vorbei“, „was ist, wenn dann plötzlich doch nicht alle angekettet“, „wen zum Teufel sollen denn diese Hunde abschrecken, – hier verirrt sich doch niemand hin“, …
Langsam komme ich näher. Wieder erstarre ich. Der Hund, den ich für angekettet hielt, ist nicht mehr da. Er war also nicht fest. Er läuft also frei … . Ich suche ihn. Er liegt im Inneren der Halle. Im Schatten. Ich suche das Gelände ab. Entdecke vier weitere Hunde. Sie liegen faul herum.

Matera, Kompostierhalle, Wachhunde

Bellen nicht. Schauen nicht einmal in meine Richtung. Vorsichtig taste ich mich weiter. Erinnere mich an einen vermüllten öden Platz in der Nähe eines Campingplatzes auf Sizilien, auf dem mindestens ein Dutzend wilde Hunde lebt. Wenn ich nicht mehrere Jogger*innen gesehen hätte, die seelenruhig an dem Gelände   vorbeitrabten, hätte ich mich das ganz sicher nicht getraut. So aber tat ich es einfach auch. Die Hunde damals rührten sich nicht. Ob dies hier einfach auch wilde Hunde sind? Die haben sich aber gerührt! Aber vielleicht nur wegen des Autos? Jetzt sind sie ruhig. Ob du vielleicht einfach vorsichtig weitergehst? Oh Gott, nein! Aber du möchtest doch so gerne in die Halle hinein. Und wenn es doch Hunde sind, die bewachen sollen? Aber was bewachen? Hier ist doch eigentlich nichts.

Ich fotografiere, was aus sicherer Entfernung geht. Jederzeit bereit zu rennen.

Schließlich steige ich wieder in den Wagen. Atme auf.
Und bin zugleich ein bisschen beschämt, dass ich mich nicht getraut habe, es noch weiter zu versuchen.

Aber nicht sehr. Es tut auch gut, meine Angst vor Hunden einfach zu respektieren.

Während ich so vor mich hinlächle, erinnere ich mich zum allerersten Mal, seit ich bewusst erinnere, an den Satz: „Du bist ein kleiner Gernegroß“. Sagte ihn eher mein Vater? Oder meine Mutter? Oder überhaupt die Erwachsenen? Ich weiß es nicht mehr, aber ich spüre beim Erinnern genau die fragende Verunsicherung, die er immer ausgelöst hat, fast als hätte ich gehofft, der Satz würde nicht bedeuten, was er bedeutet. Fast als hätte ich gehofft, ich würde ihn einfach nicht richtig verstehen, weil ich ja noch ein Junge bin.

Wie immer nach solchen Situationen debattieren Ich und Aber. Sie raunen solche Sätze wie: Du bist einfach ein Schisshase. Das ist ja gerade noch mal gutgegangen. Ich weiß nur nicht, wer von den beiden welchen Satz sagt. Immerhin! Ein Fortschritt! Ich lächle weiter. Bei Schisshase fällt mir noch ein anderer Jugend-Begleitspruch ein: „Angsthase! – Pfeffernase! – Morgen kommt der Osterhase!“ Als könnte ich den Klang der Stimmen noch hören. Die verächtlichen Gesichter der sommersprossigen Siedlungsdesperados noch sehen. Die Sehnsucht noch spüren: Ach wäre ich doch auch so ein mutiger Abenteurer. Du wirst nie die Rolle von Winnetou kriegen. Du kommst ins Tor.

Ich fahre an einem Cafè vorbei. Kurz entschlossen halte ich an. Einen Espresso, ein Cornetto. Kurzer Dialog, welche Sorte. Hier ist das Revier der groß gewordenen Sommersprossendesperados. Sie schlacksen hier hinein. Werfen einen Spruch in den Raum. Zwei, drei andere werfen zwei, drei Sprüche zurück. Ich verstehe sie alle nicht. Aber der Ton der Stimmen, die Kehligkeit der Lacher, die wissenden Blickbrücken zwischen den Kerlen. Ich kenne das. Trotzdem bleibt merkwürdigerweise die tiefe Verunsicherung, die das normalerweise bei mir auslöst, aus. Sogar, als sich die Brisanz der Szene noch steigert. Ich zeige einem der Männer ein Foto von der Halle auf dem Display des Apparates. Er verweist mich an einen anderen. „Der weiß das, der ist von hier.“ Der guckt auf das Display. Nimmt mir die Kamera aus der Hand, um besser sehen zu können. Ich gebe sie widerwillig her. „Ach so, ja“, irgendwas in der Art sagt er. Ich erkenne es am Ton und an der wegwerfenden Handbewegung. Ich verstehe soviel wie: „Das ist eine Groß-Anlage zum Kompostieren. Aber sie funktioniert nicht.“ Eigentlich glaube ich nicht, was ich da verstanden habe, aber die Blöße, noch einmal oder sogar mehrfach nachzufragen, will ich mir nun doch nicht geben. Zumal die Kerle schon wieder im Albermodus sind. Diesmal geht es um Schwul-Sein und Französisch. „Montpellier“ taucht immer wieder auf begleitet von Teekännchen-Arm- und Fingerhaltung und eindeutigen Blicken.

Ich mache mich davon. Im Auto muss ich wieder lächeln. Ob die mich meinten?
Ich freue mich, dass ich die Verunsicherung spürte und trotzdem darin nicht verloren ging.

Vielleicht bin ich jetzt gerade ein großer Gerneklein.

Ach so

Ich habe mich schon immer gefragt, wie man sich selbst und der kleinen und großen Welt um sich selbst herum antun kann, AFD zu wählen, – womöglich gar einen dieser mit Worten protzenden Schimpfautomaten sympathisch zu finden.

Ich wälze mich als kleiner Teil einer ruhrgebietsweiten Blechlawine durch eine dieser Ruhrgebietsvorstädte, die man nur mit Mühe und viel Liebe „Lebens“raum nennen mag. Eine ganze Ampelrotphase lang drängelt sich ein Wahlplakat von rechts in meinen Blick. Ich kann ihn einfach nicht abwenden.

AFD Wahlplakat

Und plötzlich habe ich die Erklärung:

 

Alkoholkonsum Deutschland

Grün ärgern. Blau wählen.

Klimawandel

Die Zufahrtstraße zu dem neuen Baugebiet wirkt noch provisorisch. Und eng. Ich laufe meine Strecke. Links von mir Vorgärten einiger älterer Häuser. Rechts von mir ein Zaun, dahinter ein sandiger Brachlandstreifen. Dahinter einige neue Häuser. Wie hingewürfelt. Zusammen mit einigen wenigen Kränen. Paletten mit Klinkern. Mischmaschinen.
Ich höre hinter mir ein Auto. Hört sich ziemlich schnell an. Der wird mich ja wohl sehen?! Ich kann nicht weg vom Asphalt. Hoffentlich hat der noch Geduld genug zu warten, bis ich nach dem Zaun auf den Sandstreifen ausweichen kann. Hat er.
Ein rundbauchiger Opi kommt mir auf dem Sandstreifen entgegen. Seinen Bewegungen sieht man an, dass seine knirschenden Hüftknochen sich eigentlich verweigern. Aber er muss ja mit dem Hund. Eine lustige kleine weiße Promenadenmischung, die zwischen langen Zotteln ab und an zu mir rüber blinzelt.
Links kommt mir eine ältere Frau auf dem Fahrrad entgegen. Sie fährt ein bisschen zittrig und hält sich vorsichtshalber eher mittig auf der Zufahrtstraße.
Aus dem Baugebiet schießt ein Auto auf „unseren Weg“. Opi ist inzwischen stehengeblieben. Hat diesen liebevoll versonnenen Meditations-Blick von Hundebesitzern, die Ihren Schützlingen beim Kacken zuschauen und irgendwie auch nicht.
Das Auto drängelt sich schon dicht an die Radfahrerin.
Etwas ist komisch. Ich brauche einen Moment, bis ich den Grund weiß. Es ist ein Elektroauto, das da zwischen den Neubauten herausgeeilt kam. Man hört fast nichts. Nur ein leises, tiefes Surren und ein wenig Knirschen auf dem Rollsplit. Es wirkt, als wollte das Auto die Frau auf dem Fahrrad anschieben.
Ich sehe ein bisschen beunruhigt auf die Fahrerin. Sie ist piepjung. Und stocksauer auf „die Alte“, die ihr da die Durchfahrt verwehrt. Sie wirft beide Arme vom Lenkrad aus hoch und wedelt damit herum. Ihre zornig leuchtenden Augen und die Mundbewegungen stürmen: Sie schimpft wie ein Rohrspatz. Meine Augen zoomen sie heran. Ich reime mir ihre Mundbewegungen und kleine Tonreste, die durch die Scheiben dringen, zusammen: „Mein Gott …!!“
Die Frau auf Zitterkurs bekommt von all dem nichts mit. Die Strecke, die es zu bewältigen gilt, liegt vor ihr. Still und unbelebt. Ein unhörbares wütendes Drama hinter ihr.
Wo ist eigentlich Opi? Ich schaue mich um. Er steht noch immer da und beobachtet auch die Szene. Und schüttelt den Kopf. Und lacht.
„Keine Zeit mehr heute, die jungen Leute!“

Fastenzeit

Hurra!
Sie ist vorbei!
Ich freue mich!
Zwar habe ich nicht
Gefastet, aber jetzt
Kann ich es mit weniger
Schlechtem Gewissen tun.