Dschihad
(für جابر البكر,)
Er lässt den Lieferwagen ausrollen. Es ist die festgelegte Stelle. Hier, am Rand des Wochenmarktes, wird er nicht weiter auffallen.
Er stoppt den Motor.
Er reckt den Hintern aus dem Sitz und puhlt das Handy aus der Hosentasche.
Er sucht den Kontakt, unter dem die Nummer gespeichert ist.
Sein Daumen schwebt schon über dem Wahlbutton.
Er hält inne und beschließt, noch eine Zigarette zu rauchen.
Die erste Rauchwolke walzt an der Frontscheibe hoch.
Durch den Qualm hindurch sieht er eine hübsche junge Frau mit Kopftuch. Ziemlich genau sein Alter. Sie ist an das Geländer eines Treppenabgangs gelehnt. Mit einer Hand telefoniert sie, mit der anderen wiegt sie sacht den Kinderwagen, der vor ihr steht. Ab und zu lächelt sie liebevoll in den Kinderwagen hinein. Der Handlauf des Geländers drückt eine Delle in ihren Po. Verlegen huschen seine Augen weiter.
Zwei junge Männer kreuzen seinen Blick.
Er folgt ihnen mit den Augen. Sie debattieren lebhaft. Einer von ihnen rudert dabei mit den Armen. Es scheint ernst. Trotzdem lachen sie ab und an. Er schaut ihnen hinterher und entdeckt einen Polizisten.
Er erschrickt. Dann schiebt der Polizist seine Mütze etwas nach hinten und wischt mit einem Taschentuch seine Stirn ab. Es ist drückend heiß.
Sein Schrecken legt sich.
Er schaut auf sein Handy. Der Bildschirm mit dem Kontakt ist noch zu sehen.
Er hebt den Blick wieder. Der Polizist ist weg. Die Frau ist noch da. Die beiden jungen Männer sind auch weg.
Er wendet den Kopf, schaut zur anderen Seite. Auf einer Bank hockt ein alter Mann. Er hat die Hände auf einen Stock gestützt. Er ist blass, in sich zusammengesunken. Plötzlich belebt er sich. Ein kleines Mädchen kommt auf ihn zu gehüpft und springt auf seinen Schoß. Zwei Frauen folgen dem Mädchen und begrüßen den alten Mann liebevoll.
Er dreht den Kopf wieder zur anderen Seite. Dort halten zwei Geschäftsleute mit Laptop-Taschen bei der Kopftuchfrau an. Sie fragen sie etwas. Die Frau antwortet und zeigt dabei mit der Hand nach rechts. Offensichtlich erklärt sie einen Weg. Die beiden Geschäftsleute danken freundlich und ziehen weiter. Seine Augen bleiben noch einen Moment bei der Frau.
An der Hitze des Filters in seinem Mund spürt er, dass die Zigarette fast aufgeraucht ist.
Er lässt surrend die Seitenscheibe herunter und schnippt den Stummel raus. Im Flug glüht er noch einmal leicht auf. Durch die offene Scheibe quillt das Stimmen-Wimmeln vom Markplatz.
Er fährt die Scheibe wieder hoch. Die Stimmen schrumpfen zu einem grauen Rauschen.
Er greift zu dem Handy in seinem Schoß. Es hat in den Ruhezustand gewechselt. Er muss den Kontakt erneut aufrufen. Er zögert und schämt sich ein bisschen dafür. Unruhe pulst seinen Hals hinauf. Er gibt sich einen Ruck.
Im selben Moment, da er die Nummer wählen will, platzt die Fahrertür auf. Schwarz vermummte Polizisten in dick wattierten Westen reißen ihn aus dem Wagen. Beim Sturz heraus fällt sein Handy auf das Pflaster. Er verliert es aus dem Blick. Zwei Beamte knien auf ihm. Die Knie bohren sich schmerzhaft in seinen Rücken. Er hört ein Gewirr von hektischen Rufen. Er will sehen, wo sein Handy liegt und dreht mühsam im Liegen den Kopf. Sein Blick streift den alten Mann auf der Bank. Und wandert weiter. Er stutzt. Er entdeckt einen Mann, den er kennt. Es ist der Mann, der die Nummer in sein Handy programmiert hat. Der Mann schaut ernst und konzentriert auf die Szenerie und greift in seine Innentasche.
Noch ein kleines Stück kann er den Kopf weiterdrehen.
Jetzt sieht er sein Handy. Ein Polizist hebt es gerade auf.
Dann hört er Schreie und das Stampfen vieler Schritte, dann einen Schuss.
Er spürt, wie etwas in seinen Hals dringt.
Es lässt ihn seltsam unberührt.
Hoffentlich wählt der Polizist die Nummer nicht, denkt er.
Dann lässt er los.