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Roger Willemsen ist tot.
Dem Nachrichten-Portal auf web.de ist dies Erwähnung wert.

Und im Text des Artikels rechts:

Er hätte wahrscheinlich die Größe darüber herzlich zu lachen:

„Ich als prominenter triptichonaler Trauerflor umrahme ein lockendes Vogue-Weibchen. Alles (na ja … mit Ausnahme des Schriftzuges ‚Vogue‘, oder besser ‚Vo   ue‘, Zwinker-Smiley) in Schwarzweiß. (Kleine sw-Reminiszenz an #Tod, an #Intellektueller, Zwinker-Smiley). Immerhin schaut jeder, der sich für die fallenden Hüllen interessiert, mal an mir vorbei, äh, sorry, bei mir vorbei. Soviel Ehre! lol.“

Und mir als Leser wird im Artikel eine unverhoffte Erkenntnis zuteil. Endlich weiß ich, warum es mir so schwer fällt zu lachen und zu lieben. Jedenfalls schwerer als, … sagen wir: Z.B. einem durchschnittlichen Mario-Barth-Fan.

 

Holland. Beim Laufen entdecke im noch dunklen Morgen ein auffallendes Haus. Leicht erhöht steht es inmitten eines großen Grundstückes. Die Architektur mischt den Charme eines alten bäuerlichen Anwesens mit dem Schick moderner Bauweisen. Roter eher kleiner Backstein. Unterteilte weiße Fenster, von denen sich der untere Teil hochschieben lässt. Eine große dunkelrote Holzeingangstür. Das Ganze ein großer Würfel mit traditionellem Walmdach. Die hohe Giebelfrontseite ist eingefasst mit einem kühl-modernen fast schwarzen, sehr breiten Holzrahmen. Geschickt angebrachte  Halogen-Leuchten inszenieren die Front innen wie außen mit dezent-moderner Eleganz. Die Einfahrt ist so breit und lang, dass der schräg platzierte schwarze SUV bequem darauf in zwei Zügen wenden könnte. Leicht könnten hier noch drei, vier andere Autos stehen. Der Garten des Anwesens, soweit er einsehbar ist, nimmt mit kleinen geometrischen Gestaltungselementen die moderne Gediegenheit des Hauses auf. Ganz hinten in der Ecke steht – mild beleuchtet – eine Budda-Figur. Hier wohnen also Menschen, denen geistige und spirituelle Erbauung wichtiger sind als materieller Besitz.

Zurück beim Duschen ein selten gewordenes erotisches Erlebnis der besonderen Art: Der kühl-feuchte Duschvorhang, der sich immer wieder zärtlich an den Rücken schmiegt.

Einer dieser immer wiederkehrenden Scheißträume. Ich bin unterwegs. Ich bin zu spät. Ich stoße dauernd auf irgendwelche Hindernisse. Nur diesmal weiß ich nicht, warum ich wann wohin muss. Ich bin einfach granatenzuspät. Eine Straße, an der ich rechts abbiegen muss, ist gesperrt. So eine Scheiße. Die rot-weiß gestreiften Absperrbaken stehen so, dass ich vielleicht daran vorbeifahren und den Abzweig einfach doch nehmen kann. Er sieht ja befahrbar aus. Ich fahre auf eine Bake zu. Schon stoße ich daran. Zum Glück ist es eines dieser Schilder, das am Fuß sofort nachgibt und nach hinten wegkippt. Sie verschwindet unter der Motorhaube. In dem Moment sehe ich, dass der Weg, den ich nehmen will, eine frisch gehakte Sandfläche in dunklem Ocker ist. Vorsichtig setze ich zurück. Wieder jede Menge Zeit verloren. Beim Zurücksetzen hoffe ich, dass die Bake so nachgiebig ist, dass sie das Auto nicht irgendwie von unten beschädigt. Also ein anderer Weg. Über den Markplatz. Ich weiß nicht, ob da Autos überhaupt fahren dürfen, aber es muss jetzt sein. Beim Einschwenken auf den Platz steht vorne rechts ein roter Kleinwagen im Weg. Ein junge Frau versucht einzuparken, setzt aber immer wieder zurück, weil sie den angestrebten Platz nicht mittig genug trifft. Links davon steht ein kleiner Kran-ähnlicher Transporter mit einem kurzen, nicht sehr hohen Ausleger. Daran hängt ein silbriger Stahl-Glas-Zylinder. Darin hockt ein behinderter  Junge (Ich sehe es nicht, ich weiß es nur. Tatsächlich träume ich den Begriff ‚behindert‘) . Ich suche das Führerhaus, um den Blick des Fahrers einfangen. Vielleicht kann ich ihn bewegen etwas zurückzusetzen, damit ich zwischen ihm und dem roten Kleinwagen hindurch auf den Marktplatz fahren kann. Der Platz ist – das fällt mir jetzt auf – mit kleinem rötlichem Stein gepflastert. ‚Eigentlich ganz schön‘, denke ich im Traum. Der Fahrer schaut mich mit unbeweglichem Gesicht an und doch an mir vorbei. Ich registriere, dass die ganze Zeit in meinem Auto das Radio läuft. Ich frage mich, ob das, was da läuft, ein Song ist.  Klaviermusik, die einen gesprochenen Text begleitet. Ist sie nur Hintergrund? Eigentlich nicht, denn das Sprechen kommt mir irgendwie rhythmisch und lyrisch vor. Die Stimme ähnelt sehr stark der von Manfred Maurenbrecher (den ich einmal gut fand, und von dem ich bestimmt seit mehr als 20 Jahren nichts mehr gehört habe … es gibt ihn tatsächlich noch …) Er kann es aber eigentlich nicht sein, denn das charakteristische Lispeln fehlt. Die Lücke, die der rote Kleinwagen und der Kleinkran lassen, ist verdammt schmal. Trotzdem versuche ich mich da hindurchzufummeln. Noch einmal nehme ich irgendwie teilnahmslos irritiert direkt vor mir die ausdruckslosen Gesichtsausdrücke vom Fahrer und von dem Jungen wahr. Dann bin ich tatsächlich durch. Im Radio höre ich im selben Moment eine Melodie. Anschließend einen Satz. Dann Stille. Ich warte auf einen Jingle oder eine Moderation oder irgendetwas anderes, mit dem das Programm fortgesetzt wird. Nichts. Stille, die bleibt.
Dann wache ich auf und kann mich zum ersten Mal in meinem Leben an eine Melodie aus einem Traum erinnern. An den Satz auch.

Wenn Menschen eine große Zahl anderer Menschen als „Gutmenschen“ verächteln, dann impliziert das doch, dass sie selbst solche nicht sind, also „Schlechtmenschen“.

Soll man froh sein über das Thema „Flüchtlinge“? Immerhin hat es uns beschert, dass diese bescheuerte Maut in Vergessenheit geriet. Und: Die bräsigen Ressentiments, um die es ging, sind jetzt wenigstens offen.

Es ist Samstag Morgen. Runde drei Wochen nach Sylvester. Die Ereignisse jener Nacht im Bahnhof in Köln sind noch immer präsent.
Ich will Einkaufen fahren.
Die Liebste verabschiedet mich. Sie steht im Bademantel in der Haustür und wirft  ein Lächeln und eine beiläufig gewinkte Geste in die kühle Morgenluft.
Beim Wegfahren bekomme ich mit, dass zwei sehr dunkelhäutige Schlakse mit Prospekten über dem Arm und Knöpfen im Ohr von Haus zu Haus gehen. Ich drehe um, fahre zurück, will bei der Liebsten bleiben und den Briefkastenbesuch der beiden Schlakse abwarten. Wer weiß …
Als ich ihr das erzähle, lächelt sie. Ihr Blick erzählt ein bisschen Rührung angesichts meines Kümmerns. Und mindestens ebensoviel freundlich-kritische Belustigung über meine vom Nachrichtenfeuer angefachte Sorge.
„Ich kann schon auf mich aufpassen.“
Im selben Moment ist mir klar, wie albern mein Handeln ist. Ich höre via Nachrichten-Sendungen von irgendwelchen Ereignissen, die unterfüttert sind mit diesem O-Ton- und ExpertInnen-Analyse-Getöse, wie es mich schon seit langem nervt. Und was mache ich? Ich sehe zwei Schwarze und unterstelle ihnen  unlautere Absichten. Denn die ExpertInnen haben mir ja erklärt, dass das Frauenbild … und dass die Werte … und dass dies und dass das. Hatte ich nicht schon lange immer seltener Fernseh-Nachrichten und Talkshows geguckt, um mich genau dem eben nicht auszusetzen?
Ich steige  wieder ins Auto und fahre nochmals los. Die beiden begegnen mir abermals. Dem ersten schaue ich ins Gesicht und lächle. Er strahlt zurück. Ein betrübtes, frierendes, ermattetes Gesicht hellt sich auf und schickt mir ein Strahlen , das mich beschämt. Ein wenig verweile ich  in seinem Blick, lächle weiter. Zum Glück weiß er nichts davon, wie verlegen ich bin.

Beim Abhängen vor dem Fernseher werde ich in die Ankündigung einer Sendung geschubst.  Talkrunde zu den „Ereignissen in Köln“. Eine stehende Redewendung ist das geworden. Synonym für irgendwas. Vielleicht: Die Wende in der Willkommenskultur? Das Aufblühen der Integrationsprobleme? Wir schaffen das nicht? „Männer nordafrikanischer Herkunft“ benehmen sich daneben. Etwas Merkwürdiges geht da vor sich. Eigentlich will ich damit nichts zu tun haben. Ich weiß nicht, was „in Köln“ passiert ist. Ich weiß nur, was Nachrichten-Übermittlung mir  erzählt, – schon was sie mir sagt, weiß ich nicht mehr.
Mir fällt wieder auf, dass ich schon lange vermeide, Nachrichten-Sendungen im Fernsehen zu sehen. Seit dem 11.09.2001. Seit dem 12. genau genommen. Am 11.09. war ich so schockiert von der Stirb-langsam-Ästhetik, die da als massenhaft tödliche Wahrheit in das wirkliche Leben hineinexpolodiert ist, dass ich mich nicht losreißen konnte. Den ganzen Tag nicht.
Danach aber mochte ich nicht mehr. Ich wollte nicht mehr Opfer sein. Opfer einer allmählich anschwellenden Islam-Feindlichkeit. Ich wollte nicht behelligt werden mit Bildern und O-Tönen von hysterisch schreienden quetschstimmigen Nachthemd-Trägern, die Hass-Botschaften verkünden, von denen ich noch nicht einmal wusste, ob es überhaupt welche waren. Warum nicht, … z.B. …, hysterische Fans bei einem Kamel-Rennen, die gerade dabei waren sehr viel Geld zu verlieren, weil sie auf das falsche gesetzt hatten.
In der nächsten Phase fingen dann Bekannte und Freunde an sich vorsichtig kritisch „bei allem Respekt“ „ich bin bestimmt keine Ausländerfeind“ aber doch über befremdliche Beobachtungen zu äußern. Ehemals von gutem nachbarschaftlichem Geist durchwehte Siedlungen, in denen jetzt eigentlich nur noch Türken wohnen, die natürlich keinen Kontakt zu den Einheimischen suchen. Frauen mit langen schwarzen Mänteln – Hallo? Im Hochsommer?!! – und Kopftüchern, die kein Wort Deutsch sprechen. Schon mit der bloßen Verwendung des Wortes Parallelgesellschaft konnte man ehrliche Besorgenis um die Offenheit und Liberalität unserer Gesellschaft zum Ausdruck bringen. Und damit gleichzeitig sagen, dass die Nachbarschaft, als sie noch rein deutsch war, liberal, weltoffen, tolerant und kontaktfreudig war. Warum eigentlich hat man dasselbe scheinbare Verantwortungsgefühl nicht zum Ausdruck gebracht angesichts der Parallelgesellschaft – sagen wir … – eines Beckenbauer?
Nun also Köln. Werbung für eine Fernsehsendung.
Ein sehr, sehr seriöses Streichermotiv signalisiert: „Top-News“, „Ernsthaftigkeit“, „Problem“. Im Hintergrund ein Hauptbahnhof bei Nacht. Schnitt. Die Moderatorin taucht auf. Links neben einem Polizeiwagen. Sie beginnt zu sprechen. „Angst, Unsicherheit, Sorge. Die Folgen der Sylvesternacht. Hier vor dem Kölner Hauptbahnhof. Darüber will ich mit Ihnen diskutieren. Fühlen Sie sich noch sicher? … “ Sehr ernster Gesichtsausdruck. Eine Journalistin, die sich der Tragweite ihres Themas bewusst ist. Perspektive Augenhöhe. Dann ein Zwischenschnitt. Die Perspektive leicht von unten. Der Blick der Moderatorin sorgenvoll und zugleich zupackend in eine ungewisse Zukunft mitten im Kölner Nachhimmel gerichtet. Dann wieder Augenhöhe. „Darüber will ich mit ihnen reden“. Sie betont das „Ihnen“.
Ich glaube ihr nicht. Sie will nicht mit mir reden. Sie will ihren Sender mitten im Geschehen halten. Sie will profitieren. Ich phantasiere ein Telefongespräch. „Hi, bist du soweit.“ „Ja, ich will nur noch eben die Musik für die Atmo speichern, dann komm ich runter. Ist die Maske schon bereit? Ich hab keine Lust, da unten so lange in der Kälte zu stehen.“ „Alles angerichtet. Kamera machen wir nur kleines Gerät. Geht alles ganz schnell. Ein paar Schüsse mit Bahnhof, Polizeiwagen Nachthimmel. Kein großes Ding. 10 Minuten höchtens. Wenn du deinen Text kannst … hö, hö, hö“ „O.k. ich komm runter.“
Ich frage mich, ob die Polizeiwagen zufällig da standen, oder ob sie so nett waren, mal eben …
Ein Fernsehsender, der von den Ereignissen getrieben wird. Noch nicht mal ein Krawallsender. Aber die Stimmung im Volk. Da muss man mit. Sonst wird man sehr schnell abgehängt. Ein geifernder Spießbürger, der in einer Talkshow seine dumpfen  Ressentiments hinausbrabbelt, ist zwar peinlich aber immer noch besser als im Feuerwerk der O-Töne des Zeitgeschehens nicht mitballern zu können.
Ich will nichts damit zu tun haben. Ich will nicht Opfer des O-Ton-Terrors sein. Ich werde die Sendung ganz sicher nicht sehen.

Bettina Böttinger

Bettina Böttinger