toscana-urlaub-woche-3

Tag 15 [24.07.]

Lucca 1

Lucca Stadtmauer

Stadtmauer Lucca Gewölbe

Stadtmauer Lucca Gewölbe

Als hätte die Stadtmauer, die rund um die ganze Stadt noch erhalten ist, die Häuser, die Gassen, die Plätze, die Bewohner geschützt und täte es noch heute. Alles ist gedämpft. Die Häuser schauen freundlich zu dir herunter, die Straßen und Piazze legen sich wie einladende Teppiche vor dich. Selbst die Motorroller kommen einem eine Spur leiser vor. Die Autos rollen sanft heran, die Glocken läuten musikalisch, die Musik, die aus irgendeiner Bar herüberweht, ist gedämpft. Die Menschen lächeln. Auch die Besucher. Als würde die Mauer ihnen allen ihren Platz sichern. So dass sie nicht laut und fordernd darum kämpfen müssen. Selbst die Nippes-Läden, die es natürlich auch hier gibt, schreien ihren Andenken-Blödsinn dem Passanten nicht entgegen. Sie sind da, sie laden ein. Sie winken dir scheu lächelnd hinterher, wenn du vorbeigehst.
Als würde die Mauer den Überlebenskampf da draußen von drinnen fernhalten. Und das da drinnen davor schützen,  zu entgrenzen und sich dabei zu verlieren. Dauernd möchte man verweilen, schauen, bei sich und zugleich zusammen sein mit all dem um einen herum. Als wir einem schon älteren Kellner erzählen, wie schön wir „seinen“ Ort finden, womit wir eigentlich „sein Café“ meinen, missversteht er uns wie selbstverständlich, schwärmt für seine Stadt und beginnt mit der Mauer. Er zählt einige berühmte Städte auf, die allesamt berühmt und großartig seien, aber seine Stadt sei „unico“. „La mura“.
Der Schwiegersohn und ich erkunden sie und fast noch hingebungsvoller einen Teil ihres Innenlebens. Die Stadtmauer hat an mehreren Stellen große Ausbuchtungen. In diesen Ausbuchtungen gibt es Gewölbe. Der Erzählung im Reiseführer nach dienten diese Gewölbe der Verteidigung der Stadt in besonderer Weise. Ihre Zugänge waren durch die besondere Bauweise nicht auf Anhieb erkennbar, – schon gar nicht von weitem. So war es möglich, dass kleine Gruppen von Reitern an einer Stelle plötzlich ausbrechen, den Gegner überraschen und ebenso schnell an einer anderen Stelle wieder verschwinden konnte. Als wir durch die Gewölbe stromern, reisen wir in eine andere Zeit. Wir hören Pferdehufen-Getrappel, Rufen. Knirschen von Leder, wenn die letzten noch schnell in den Sattel springen. Es liegt konzentrierte Anspannung in der Luft. Der Geruch von Männerschweiß mischt sich mit dem der Pferde. Das unruhige Schnaufen der Pferde mischt sich mit dem Geräusch von Klingen.
Kaum trennen können wir uns von unseren Phantasien.
Als wir alle am Abend die Stadt wieder verlassen wollen, holen der Schwiegersohn und ich das Auto, das außerhalb der Stadt geparkt ist. Ein Hauch von Melancholie weht mich an, als wir durch ein großes Tor in der Stadtmauer aus dem Inneren hinaustreten. Und ein Gefühl von Aufatmen, als wir wieder in die Stadt hineinfahren um die anderen zu treffen.
Man möchte einfach gerne wieder zurück. Hinein in den Schutz.

Lucca 2

Selbstbildnis mit Fahrrad

Selbstbildnis mit Fahrrad und eingezogenem Bauch.

 

Tag 16 [25.07.]

Im Traum ein Hund. Er liegt neben dem Nachbartisch in einem Café. Ein blöder Hund. Braun. Eher klein. Glattes Fell. Spitze Schnauze. So eine Sorte, die gar nicht aussieht wie ein richtiger Hund. Eher wie ein kleines Reh. Ein Weichei-Hund. Kann wahrscheinlich nicht mal richtig kacken. Drückt wahrscheinlich nur mit viel Mühe und zitternden Hinterläufen einen mickrigen Karnickel-Köttel raus. Kann wahrscheinlich auch nicht richtig bellen. Reißt das Maul auf, als wollte er gähnen und produziert nur ein helles „A – A“ mit Kinderstimme. Und dann trägt er auch noch ein albernes Hundeleinen-Geschirr. Nicht nur ein Halsband. Ein kleines Halfter um Hals und Brust mit folkloristischen Applikationen. Irgendwie bayrisch. Lächerlich!
Und dieses doofe Vieh macht sich bei jedem italienischen Wort, das ich spreche, lustig über meine Aussprache und über den Satzbau und über die falschen Vokabeln und überhaupt über alles. Bei jedem Wort. Ich weiß nicht, wie er das macht. Ich sehe es nicht. Ich weiß es nur. Es macht mich total sauer. Als wir zahlen und gehen, drehe ich mich nochmal um und ziehe ihm eine Grimmasse.

Er äfft meine Grimmasse nach und schickt sie mir hinterher.
Sofort danach wache ich auf. So ein Mist. Jetzt kann ich nicht zurückätzen und das blöde Vieh hat gewonnen.
Das wird ein Scheißtag.
Zur Strafe kriegt er jetzt diesen Text.
Wehe der läuft mir heute Nacht wieder übern Traum!

Tag 18 [27.07.]

Bin mir nicht mehr sicher. Ist das jetzt Erholung für Fortgeschrittene? Oder doch sonneneinstrahlungsbedingte Verdünnisierung der Denkgrütze im Hauptspeicher im wahrsten Sinne des Wortes? Nutella wird bei dem Wetter schließlich auch irgendwann flüssig. Schätze ich.
Das Morgensudoku überfordert mich komplett. Mehr als die Grundregel kriege ich nicht mehr auf die Reihe. Die zynische Wortsalvenorgie des David Foster Wallace („Unendlicher Spaß“, Urlaubslektüre wäre nicht zutreffend, eher eine tropfenweise Einverleibung von immer höchstens 5-6 Seiten) passt schon eher zum Zustand meines Gripses.
Der Traum von heute Nacht auch. Handlung weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass Oliver Kahn (ja, der!) in unserer Küche saß. Die gar nicht aussah wie unsere Küche, aber eben doch unsere Küche war. Irgendwie gehörte er zu uns. Er zeigte mir das Ergebnis seiner Examensarbeit. Eine 3+. Sein Blick auf mich erwartete einen Kommentar. Ich war unsicher, was ich sagen sollte. Er schien enttäuscht. Also natürlich trösten. Eigentlich ist so eine Note ja tatsächlich auch nicht wichtig. Andererseits war ich innerlich belustigt und hätte ihn zu gerne ein bisschen gefoppt. Der Mann, der nicht müde wird, mit leicht nach oben ansteigender Tonkurve von „höchstem Niveau“ zu sprechen, sitzt hier und präsentiert eine, … pfff … 3 Plus. Bevor ich vegetativ hätte abspeichern können, wie ich dann tatsächlich reagiert habe, wache ich auf.
Weiß es also nicht.
Ab und zu schaue ich auf von meiner „Lektüre“. Oli geistert mir dann durch den Kopf. Einmal beobachte ich eine Eidechse, die ganz oben an einer bestimmt 2 Meter hohen Wand krabbelt. Und plötzlich lässt sie sich mit einem Flappsen auf den Boden fallen. 2 Meter! Ungefähr 20 Mal ihre Körperlänge. In meinem Fall wären das runde 35 Meter. Dann die Erdbeschleunigung einrechnen. „g“, glaub ich. Wie kann das gehen? Entweder kann die den Sturz so geschickt steuern, dass sie auf den Füßen landet, die unglaublich muskelbepackt sein müssen, weil sie ja den ganzen Tag, den Body hochhalten müssen, damit der Bauch nicht über den Boden schrappt. Oder die machen eben volles Risiko. Klappt oder klappt nicht. Das unbegreifliche Ploppen von Kleintieren irgendwohin (12.07.) ist weiterhin ungeklärt und um eine Variante reicher.
Irgendwann, wenn ich wieder Netz hab, kann ich das ja mal googeln (heißt das eigentlich in Italien „googlare“?). Und wenn ich grad dabei bin, kann ich ja auch gleich nachgucken, wie man eigentlich mit „g“ rechnet.
Bestimmt mache ich das, wenn ich mal wieder Netz habe. Ganz bestimmt. Aber vielleicht bin ich ja dann auch sonnbedingt endgültig verblödet. Was mir im Moment gar nicht schlimm vorkommt.

Tag 19 [28.07.]

Tereglio

Figur vor Kirche in Tereglio

Guten Freunden werden wir von diesem Dorf erzählen. Nur guten Freunden. Denn letztlich wissen wir nicht, ob es dieses Dorf wirklich gibt.
Aber ihr wart doch da, werden die guten Freunde einwenden. Ihr habt doch Menschen getroffen, etwas mit ihnen und ohne sie erlebt. Ihr habt die Häuser gesehen, die Gassen, die Wegweiser zu dem Dorf, seinen Namen auf der Straßenkarte. Dann werden wir lange schweigen. Innerlich dem Zögern der AntWorte lauschen. Bei guten Freunden kann man das. Und dann werden wir sagen: Wir haben etwas erlebt und gesehen, das sich wie ein wirkliches Dorf angefühlt haben könnte, und es zugleich aber auch nicht tat.
Am Anfang des Dorfes trafen wir zwei Frauen. Wir ließen die Scheiben heruntersurren und fragten sie, ob es einen kleinen Supermarkt oder etwas Ähnliches hier gebe. Ja, antworteten sie mit doppeltem Strahlen, es gebe ein kleines Geschäft, aber heute sei ja Mittwoch, und da sei es, – peccato! – geschlossen. Es gebe aber eine Bar. Dort könnten wir sicherlich etwas Brot, Käse und Wein kaufen, wohl aber eher nicht die Alufolie, die wir so gern für’s Grillen gehabt hätten. Dort hinter der Kurve sei ein Parkplatz. Da könnten wir das Auto abstellen. Von dort aus sollten wir uns auf den Weg zur Chiesa begeben. Ein Stückchen weiter sei dann rechts die Bar. Wir dankten, grüßten und empfingen erneut ein doppeltes Strahlen. Eines, wie man es vielleicht auf einer sommerlichen Hochzeitsgesellschaft erleben könnte. Aber so purzelbaumselig bei der einfachen Antwort auf die Frage nach dem Weg?
Der Eintritt in das Dorf wie das Durchschreiten einer Zeitgrenze. Mittelalter. Eine steil abwärts führende gepflasterte Gasse. Eine in sanftem Bogen aufwärts führende flachstufige, moosbewachsene Treppe. Die Kirche war oberhalb zu sehen. Also nahmen wir die Treppe. Die aber mündete nach der nächsten Kurve in einen überwucherten Hinterhof mit einem offenen Verschlag. Oh. Privat. Wir kehrten um und nahmen die Gasse. In goldenem Abendlicht floss sie abwärts. In der Mitte eine Rinne für das Regenwasser. Nichts war zu hören. Außer einem Telefonklingeln, wie es in einem 60er-Jahre-Film modern geklungen hätte. Kein Mensch. Das Strahlen der Frauen am Eingang und jetzt die Melancholie eines siechen uralten Dorfes. Das goldene Abendlicht auf einer Gasse, die gesäumt war von würdevoll schweigenden dunklen Steinfassaden und schweren, ebenso dunklen fensterlosen Eingangstüren. Zögernd gingen wir weiter und schwiegen. Hofften wir, jemandem zu begegnen, den wir hätten fragen können, ob wir hier weitergehen dürften, – könnten? Eingeladene Eindringlinge.
Die offene Tür entdeckten wir gleichzeitig. Die linke Hälfte einer verwitterten zweiflügeligen Tür. Im staubigen Halbdunkel des vielleicht 3 mal 3 Meter großen Raumes dahinter stapelten sich Haushaltsutensilien. Waschmittel, Wanderschuhe, Bindfadenknäuel, Schrubber. Eine ältere Dame mit einem milden, reifen Lächeln empfing uns. Ja, Folie habe sie und tippte dabei auf eine Schachtel mit Frischhaltefolie, die aus einem Sammelsurium vor der Ladentheke auftauchte. Noch ehe wie ausgesprochen hatten, dass wir Alu-Folie bräuchten, schwebte schon ein Karton vor unseren Gesichtern. Als hätte sie es von Anfang an gewusst. Helle Freude bei uns. Dasselbe milde Lächeln mit leicht seitlich geneigtem Kopf bei ihr. Die Kasse knarzte wie eine alte Rechenmaschine. Oder war es sogar eine? Wir dankten, grüßten und verließen das Geschäft wie die Praxis einer lebensweisen Heilpraktikerin.  Merkwürdig deplatziert der Karton in meiner Hand. Der Bon. Wieder hüllte uns diese seltsam belebte Menschenleere ein.
Hinter einem Vorsprung tauchte plötzlich eine Gruppe Jugendlicher auf. Einige Mädchen. Einige Jungen. Alle in frisch gewaschenen sonnig weiß oder bunt leuchtenden glatten T-Shirts. Ganz und gar nicht dörflich. Wie in unterschiedlichen Posen auf Stufen, kleine terrassenähnliche Plateaus, Fensterbänke drapiert. Obwohl sie redeten, waren sie still. Sie erwiderten unseren Gruß nicht. Ein verstohlener Blick zurück nach dem Vorbeigehen zeigte uns, dass sie uns nicht hinterherschauten. Als hätten sie keine Notiz von uns genommen.
Vor uns stieg die Gasse wieder an. Ein dreirädriger Lieferwagen tauchte auf der Kuppe auf. Sein Knattern drückte die eng bei einander stehenden würdevoll altschweren Häuser ein wenig auseinander, auf dass er hindurchpasse. Im selben Moment kam neben uns ein junger Mann aus einem Haus. Er trug ein schickes kurzärmliges Hemd und bunte Shorts. Seine blonden Haare legten sich modisch frisiert in Pose. Sein „Salve“ klang, als wäre er ernsthaft erfreut uns zu sehen. Schon hatte er sich in entgegengesetzte Richtung gewandt. Trotz der ruhigen Gelassenheit, die er ausstrahlte, schien er es eilig zu haben. Dass in diesen Häusern überhaupt jemand wohnte, wunderte uns und zugleich wunderte uns, dass wir uns darüber wunderten. Auch darüber, dass hier ein junger Mann auftauchte, der ebenso gut, eigentlich fast besser, in die Eingangshalle eines modernen Hochglanzkinos passen würde. Das Lieferwagendreirad knatterte an uns vorbei. Wir sahen ihm nach. Bei dem jungen Mann hielt es an. Beide waren jetzt am tiefsten Punkt der Gasse. Der junge Mann kletterte hinten auf die Ladefläche, schlug mit der flachen Hand auf das Dach des Führerhauses und hielt sich an dem Drahtgestell hinter dem Führerhaus fest. Das Dreirad setzte sich wieder in Bewegung. Wir schauten uns um, in welche Gassenöffnung hinein wir dem Dreirad ausgewichen waren. Es war ein niedriger Mauerbogen, durch den eine noch engere Gasse steil abwärts führte. Unten saß in einer Insel aus dem jetzt schon nur noch spärlichen Abendlicht ein älterer, hagerer Mann auf dem Boden. Die Beine rechts und links von sich gestreckt. Er hantierte mit irgendetwas, das wir nicht sehen konnten. Zwei Katzen waren bei ihm. Eine strich in seinen Beinwinkel. Eine andere beobachtete und schob sich schließlich hinterher. Gab er ihnen zu fressen? Spielte er mit ihnen? War er einfach der Katzenmann?
Wir wandten uns ab und gingen weiter unseren Weg, jetzt wieder steil aufwärts. Wieder bringelte irgendwo ein Telefon mit dem Klang, den wir schon kannten. Noch immer sprachen wir kein Wort. Als wäre in dem Film, in dem wir uns bewegten, eben kein Text vorgesehen. Auf der Kuppe des Anstiegs rechts hinter einem Haus ein Glockenturm. Links gegenüber eine Kirche. Sie hatte drei Eingangstüren. Das in der Mitte ein großes Portal. Vor allen Türen hingen große Vorhänge aus schwerem Stoff, der irgendwann einmal dunkelrot gewesen war. Gegenüber der Kirche ein kleiner Platz mit Aussicht. Mitten auf dem Platz eine Statue. Ein trauriger, müder Soldat mit einem Barett. Den Opfern des ersten und zweiten Weltkrieges. Der Platz war wir frisch gewischt. Vom  Geländer aus den Hang hinunter schwebte unser Blick auf einen Fußballplatz. Zwei kleine Tore. Die Spielfläche kleiner als gewöhnlich. Frisch gemäht. Die Torbalken wie frisch gestrichen. Ein Bergdorf voller enger steiler Gassen und Treppen und daneben ein Fußballplatz.
Ein Stückchen weiter auf unserem Weg tatsächlich eine Bar. Wir entdeckten sie erst, als wir schon fast vorbei waren. Beim Eintreten in das leer anmutende und doch eindeutig eine Bar beinhaltende Halbdunkel hörten wir gedämpfte Stimmen. Hinter der Theke, die außer einem Pappständer mit symmetrisch aufgereihten Chipstüten leer war, und einem hohen, ebenfalls fast leeren Regal entdeckten wir, wer gesprochen hatte. Ein großer älterer Mann und ein etwas kleinerer jüngerer Mann. Der Ältere hatte eine gebeugte Haltung und trug eine ehemals weiße Schürze. Sein auffällig ausgeprägtes Schielen gab seinem Gesicht etwas fremdheiter Märchenhaftes. Der Jüngere war leicht dicklich, trug ein italienblaues T-Shirt und hatte die Haare oben auf dem Kopf in einem Sträußchen zusammengebunden. Wie dieser freche Balkan-Schwede, der die Fußballwelt regelmäßig mit rotzräudigen Sprüchen aus der Ordnung schubst. Ja, natürlich könne er uns etwas Brot und etwas Käse verkaufen. Der Beschürzte verschwand links in einem Nebenraum. Der Jüngere murmelte ihm im Vorbeigehen etwas hinterher. Wir schauten uns um. Im Boden vor der Theke waren drei etwa 50cm lange und breite quadratische Fensterscheiben eingelassen, durch die man in einen dunkles Etwas unterhalb dieses Raumes sehen konnte. Vielleicht ein Keller. Ja, eine Cantina für Wurst und Wein, klärte uns der Ältere auf, als er wieder da war. Der Umbau des Bodens mit den Scheiben sei erst vor kurzem fertig geworden. Er hatte ein Viertel von einem runden Brot in der Hand. Ob das reiche. Dann schob er es umständlich in eine Papiertüte, deren Knistern in der märchenhaften Gedämpftheit dieses Raumes beinah aufdringlich war. Wieder verschwand er und tauchte kurz danach mit einem Stück Käse auf. Als er damit näher kam, konnte ich sehen, dass es schon ein etwas betagteres Exemplar war.  Er legte Brot und Käse auf die Theke. Bei einem normalen Einkauf hätte man den Käse vielleicht doch eher nicht genommen. So aber schauten wir gebannt auf die beiden Lebensmittel, die auf der Theke lagen, und deren Preis  nun abgeschätzt werden wollte. 8 Euro. Ehm, – nein, 10 Euro, ehm, nein, doch 8 Euro, so groß sei der Käse ja nicht. Wir waren so perplex ob der Szenerie, dass wir zustimmten. In der Cantina, knüpfte er an, werde wie gesagt Wein gelagert und Wurst. Ob wir vielleicht einmal probieren wollten? Schon hatte er einen kleinen Schluck in zwei Weingläser gefüllt. Offro io. Ich lade Sie ein. Schon der erste Schluck stieg zu Kopf. Zum Glück waren es nur noch zwei weitere. Eine Flasche kauften wir. Dann verließen wir den Laden, begleitet vom Lächeln und zurückhaltenden Winken des Älteren und von beobachtendem Im-Hintergrund-Stehen des Jüngeren.
Auf dem Rückweg kamen wir wieder an der Gruppe der Jugendlichen vorbei. Jetzt war sie deutlich weniger ruhig. Man lachte, plapperte und summte kleine Stücke der Musik mit, die von irgendwo aus dem Hintergrund kam. Zwei umarmten sich. Es kam uns überraschend innig vor. Als hätten sie jetzt verstanden, welche Rolle ihnen zugedacht ist. Sie spielten sie mit Freuden.
Als wir wieder im Auto saßen und so leise wie irgend möglich von dem Dorf wegfuhren, spürte ich schon eine vollkommen absurden Zweifel an der Existenz des Dorfes. Waren wir nicht vielleicht einfach nur in der Kulisse von Filmarbeiten zu einem surrealistischen Streifen gelandet? Mit Rollen, die wir traumwandlerisch sicher spielten, ohne zu wissen, welche es eigentlich waren. In einer Kulisse, die jetzt, wo wir im Auto saßen, schon wieder abgebaut war. Ein scheuer Blick in den Rückspiegel. Doch, – etwas von dem Dorf war noch zu sehen. Und doch zweifelten wir.
Letztlich wissen wir nicht, ob es dieses Dorf gibt. Wenn überhaupt jemand, dann wissen es nur die, die darin leben. Wenn es sie gibt.

Tag 20 [29.07.]

Was vom Leben übrig blieb

Ruine Toscana

Tag 21 [30.07.]

Kindsköpfe 3

Obwohl schon die Melancholie des letzten Urlaubsfrühstücks über uns schwebt, albern wir herum. Auf meinem Teller liegt ein dunkelbrauner runder Haferkeks mit kleinen Nuss- und Schokoladenbröckchen.
Sieht aus wie …
… eingefallener Maulwurfshügel,
… Rad von einem kurz-nach-dem-Krieg Holzspielzeugauto,
… von einem Elefanten plattgetretener Straußenschiss („iiieeehhh!“)
… Scheibe von einer antiken Flex,
… Maori-Ohr-Schmuck-Abfall („hää?“ – „Loch vergessen“)