18. September 2018
(Cetraro)
La vera Italia
Es ist so schön das zu erleben. Du steigst vom Schiff. Du schaust Dich um. Ein großer Yachthafen, in dem aber kaum noch Betrieb ist. Was uns einerseits freut, was aber andererseits auch einen Hauch von Trostlosigkeit hat. Das Hafengelände noch gepflegt und einladend. Das Drumherum ganz und gar nicht. Verfallende Gebäude. Gerümpelecken. Müll. Autowracks unter schiefen Strohmattendächern. Hier würde ich tausend und ein grandioses Foto zu meiner Serie „Was vom Leben übrigblieb“ machen können.
Kaum Menschen unterwegs.
Und als die Sonne hinter einen trüb-orangenen Grauschleier sich verdrückt hat, folgt die dazu passende Melancholie.
Trotzdem stürzen wir uns hinein in diese Welt.
Und kaum haben wir die ersten Kontakte, fühlt sich wieder alles ganz anders an. Da sitzen auf wackeligen Stühlen hinter einer schon sehr siechen Strauchhecke zwei ältere Paare vor einem Kiosk, der wirkt, als wäre er kaum mehr als eine mit Chipstüten und Zigarettenschachteln notdürftig umfunkionierte Garage. Die vier nuckeln alle an einer Bierflasche und plaudern. Wir fragen nach einem Restaurant und einem Lebensmittelladen. Die Gesichter der Vier hellen sich auf. Wort- und gestenreich beschreiben sie uns Wege. Wir verstehen zwar wie üblich nur die Hälfte, aber wir baden in der Freundlichkeit. Außerdem behält man hier eh nie die ganze Wegbeschreibung. Man fragt ja an der nächsten Ecke wieder. Fast hätten wir uns spontan dazugesetzt und auch ein Bier getrunken. Die nächste Ecke, wo wir wieder nach dem Weg fragen. Ein älterer Herr, der seinen Hund Gassi führt. Wieder wort- und gestenreiches freudiges Geplapper. Wir finden den Lebensmittelladen. Er ist eigentlich zwei Läden. Vorne ein Stoff-, Näh-, Putzmittel-, Hausarbeitsladen. Hinten ein Lebensmittelladen. Vor den Läden eine ältere und eine jüngere Frau auf einer wackeligen Holzplanke als Bank. Die Hauswand als Rückenlehne. Beide stehen auf. Bedienen uns drinnen. Wir bezahlen und hantieren noch ein bisschen mit den Taschen. Die beiden sind schon wieder draußen. Als wir gehen, verabschieden sie uns mit einem wunderbaren Lächeln.
Das Restaurant, das uns empfohlen worden war, ist uns zu weit. Wir nehmen einfach die nächstbeste Pizzeria. Sie ist leer. Ein Mann empfängt uns lächelnd. „Suchen Sie sich einen Tisch aus.“
Im weiteren Verlauf des Abends stellt sich heraus, dass er gebürtiger Engländer ist, der seit vielen Jahren in Cetraro lebt und da jetzt eine recht neue Pizzeria versucht am Laufen zu halten. Im Hintergrund läuft erst Tottenham gegen Inter und dann Liverpool gegen Paris St. Germain. Die Gäste, die später noch kommen, schauen mit. La vera Italia.