Sonntag
Das große Schmilzen hat begonnen.
Die „Nur-mal-eben-zum-Kompost-Gartenschlappen“ tauchen wieder auf.
Aufbruch. Die Liebste scharrt schon mit den Füßen. Einen Moment muss sie sich einfach noch gedulden. Ich will unbedingt ein Foto machen. Eines, das vielleicht – so denke ich – bald nicht mehr möglich ist.
Die wunderbar gleichmäßig geformte Lasche aus Schnee, die sich in sanfter Biegung über die Regenrinne wölbt, hat in größerem Abstand schon den einen oder anderen Schmelzwassertropfen aus ihrer tiefsten Stelle entlassen. Ich träume von einem Foto, dass genau so einen Tropfen einfängt, überdacht von dieser gleißend weißen Schnee-Wölbung.
Ich eile hinaus. Und tatsächlich! Es gelingt mir. Es ist gar nicht einfach, sich an den langsamen Tropfrhythmus zu gewöhnen, sich einzuschwingen in ihn und dann den Auslöser in genau dem Moment durchzudrücken, in dem der Tropfen noch am Schnee hängt, sich aber gleich auf den Weg machen wird, so dass er ins Bild kommt, wenn der Auslöser mit kleiner Verzögerung den Weg des Lichts zum Sensor freigibt. Mindestens drei oder vier Fotos gelingen mir. Das Glück wird perfekt abgerundet: Unmittelbar nach dem Moment, in dem ich denke: „Ok. Das war’s. Ich hab’s.“, bröckelt mit einem sehr leise knirschenden Zischen ein Teil der perfekten Laschen-Wölbung ab. Das Kunstwerk ist dahin. Aber das Foto im Kasten.
Als wir wieder zurück sind, kann ich es gar nicht abwarten, mir die Fotos auf dem großen Bildschirm anzusehen. Ich öffne die kleine Kappe vor dem Fotokartenfach an der Kamera. Und mir wird heiß. Sie enthält keine Karte. Im selben Moment fällt mir ein: Die Karte steckt noch im Laptop. Vom letzten Bilder-Überspielen. Es gibt kein Traum-Foto.
Mit traurigem Trotz gehe ich raus und schau mir die Stelle an. Mache ein Tropfen-Foto mit abgebröckeltem Kunstwerk.
Nun gibt es ein weiteres Fotos, an das ich mich bis ins Detail erinnere. Gerade weil es nicht existiert.