Tag 69
So anders nicht
So anders als Tiere, wie wir gerne glauben möchten, sind wir nicht. Möchte ich glauben.
Ich hocke am Teich. Wie immer, wenn ich am Wasser bin, schaue ich hinein. Und immer im ersten Moment unruhig suchend. Dann ohne Absicht und dann findend.
Mir huscht eine zuckende Bewegung durch den Augenwinkel. Ich schaue hin. Recht weit oben hockt auf der Teichfolie eine Libellenlarve. Ich warte auf das Zucken. Es kommt. Ah! Sie jagt etwas. Aber anders, als ich mir das vorgestellt hatte. Es schießt nicht ihr ganzer Körper aus der Bewegungslosigkeit hervor und schnappt. Erst beim dritten oder vierten Mal wird mein Bild klarer:
Von oben sieht es aus, als würde eine Art Lasche, eine weißliche Zunge, von der Larve weg auf die Beute zu schießen und sie schnappen. Später lese ich, es ist eine Fangmaske. Sie sitzt auf und vor dem Kopf der Larve und schnellt tatsächlich vom Köper weg zur Beute.
Aber warum macht sie das an derselben Stelle ein paarmal relativ kurz hintereinander?
Da! Ganz kurz vor der Larve bewegt sich etwas. Tatsächlich. Die Maske schnell hervor. Zieht sich zurück. Und, – … das Etwas bewegt sich weiter. Vier-, fünfmal geht das so. Ich wundere mich. So oft verfehlt die Larve ihre Beute? Ich schaue genauer hin: Was die Libellenlarve jagt, ist ein Schatten, der eines kleinen Babywasserläufers auf der Wasseroberfläche. Die Larve macht noch ein paar Versuche. Dann gibt sie auf. Sie schaut sich um. (Ich bin sicher, dass sie das tut.) Sie will wissen, ob jemand ihre kleine Dummheit beobachtet hat.(Ich bin sicher, dass sie das tut.) Sie sieht niemanden. Und schleicht möglichst unauffällig unter ein Knäuel aus Blättern und kleinen Ästen in der Nähe. Sie kriecht darunter. Nur ihr Kopf ist noch zu sehen. Sie ist erleichtert (ich bin sicher, dass sie das ist.) Hat keiner gesehen.
Tja, liebe Libellelarve, Irrtum, – ich hab’s gesehen. Aber keine Sorge, ich erzähle es nicht weiter.