24. September 2018
(Taureana – Scilla – Bagnara – Straße von Messina)
Dass ein weiteres Mal ein alter Traum von uns in Erfüllung gehen würde, war ziemlich klar. Dass es heute schon geschieht, nicht.
Wir wollen nach Scilla. Ein idyllisches Postkartenstädtchen in Calabrien. Das Hafenhandbuch legt nahe, dass es hier auch einen kleinen Hafen gibt. Als wir den Hafen anfunken, stellen wir fest, dass es nur Mooringbojen gibt. Das würde für die Lady mit der Armschiene bedeuten, dass sie wahrscheinlich nicht vom Schiff kommt. Was in einem der schönsten Städtchen in Calabrien nun wirklich keinen Sinn macht. Wir drehen um und steuern einen Hafen 3 sm vorher an. Bagnara.
Es gibt schöne und weniger schöne Häfen. Einladende und abweisende. Dieser hier hat aber auch die allerletzten Reste von Idylle abgelegt und kotzt einem einfach seine Existenz vor die Füße. Der Hafen ist belegt von großen Fischfangbooten. Hier ist der größte Teil der Schwertfisch-Fang-Flotte stationiert. Schon diese Kähne haben so gar nichts von der verspielten Romantik der bunten Fischer-Bötchen, die in malerischen Städtchen malerisch an den Kai drapiert sind. Damit wir uns einbilden können, der Fisch, den wir essen, käme nicht von hochtechnisierten Riesen-Fischkillmaschinen, die im Nordantlantik kreuzen und in industriellem Ausmaß ihrem tödlichen Geschäft nachgehen, sondern von zufriedenen Fischern, die im Morgenrot friedlich ihre Netze einholen.
Die hier sind dreckige, funktionelle, große Kampfmaschinen. Abwesenheit von Romantik. Anwesenheit von Arbeit.
Wir drehen eine Runde. Es gibt einen kleinen Schwimmsteg, an dem ein paar kleine Wochenend-Spaß-Motorboote liegen. Hier können wir nicht hin. Ratlos schauen wir uns um. Wir finden nicht mal jemanden, den wir fragen können, wo ein Platz für uns wäre. Die übliche Anfrage über Funk war ergebnislos gewesen. Keine Antwort. Die Anfrage via Telefon mit der Nummer aus dem Hafenhandbuch auch. Wir konnten den Angestellten einfach nicht verstehen. Und Englisch ging nicht. Also einfach rein.
Plötzlich taucht ein junger Mann auf. Er sieht ziemlich verwegen aus mit seinen zausigen, fettigen schwarzen Haaren, dem dreckigen Feinripp-Unterhemd, den Tatoos. Er bedeutet uns mit Gesten, an welchen Platz wir längs gehen können. Dann erklärt er uns etwas, von dem wir aber auch nur verstehen, dass der Hafen für den Tourismus geschlossen sei, dass wir aber trotzdem dort liegen könnten. Außerdem kündigt er seine Rückkehr für 17 Uhr an. Wir verstehen aber nicht, was er uns damit sagen will.
Ich steige vom Schiff und drehe eine Runde. Auf der Suche nach einem Wasserhahn, den wir anzapfen können. Dass es hier keine Elektrizität gibt, war auf einen Blick klar. Der erste Eindruck wird bei meiner Runde auf bedrückend martialische Art bestätigt. Einmal vorhandene Einrichtungen für Gäste wie uns sind nicht nur außer Funktion. Sie sind kaputt. Und nicht nur einfach das. Sie wirken wie lustvoll zerstört. Stromsäulen, die wie umgetreten und mutwillig auseinandergebrochen auf dem Kai liegen. Kabel quellen wie Gedärme aus ihnen heraus. Selbst die obligatorische irgendwann sicher auch mal rote Löschstation ist zerstört. Nur der dicke Schlauch selbst scheint noch intakt. Etwas abseits steht ein kleines Toilettenhaus. Es ist nicht nur einfach verlassen. Die Türen stehen auf. Der Boden ist voller stinkendem Müll. Der Wasserhahn über dem, was einmal ein Waschbecken war, ist aus der Verankerung gebogen und hängt schief über dem Becken. Die Toilettenschüssel ist randvoll mit verschmiertem Papier. Genauer kann ich es nicht beschreiben, weil ich mich schnell abgewandt habe ohne mich zu trauen genauer hinzusehen.
Unmittelbar vor dem Schiff steht kurz unter der Wasseroberfläche gut sichtbar eine Untiefe.
Zwei Männer tasten sich in einiger Entfernung vorsichtig an das Schiff heran. Als Martin sie mit „Hallo“ begrüßt, kommen sie näher, als würde sich hier doch etwas öffnen. Auch sie verstehen wir nicht richtig. Es scheint so zu sein, dass sie uns helfen wollen, in einem Supermarkt einzukaufen und in einer Pizzeria essen zu gehen. Aber sicher sind wir nicht. Selten habe ich den Widerspruch zwischen dem schicken Postkarten-Tourismus, den wir betreiben und dem dreckigen echten Leben so empfunden wie hier.
Für uns alle ist klar, dass wir hier nicht bleiben können. Wir hätten Angst. Eine irgendwie unwirkliche. Geradezu lächerliche. Denn es gibt ja keine sichtbare Bedrohung. Im Gegenteil. Immerhin haben drei Personen zu uns Kontakt aufgenommen. Der junge Mann ist extra um den ganzen Hafen gelaufen, um uns einen Platz zum Anlegen zu zeigen.
Trotzdem Angst. Ich fantasiere, dass wir womöglich nachts überfallen werden. Oder dass das Schiff geplündert wird, wenn wir es für einen Landgang verlassen würden. Und schäme mich zugleich dafür. Ich armseliges verwöhntes Wohlstandslandei zucke bei der ersten Begegnung mit dem Schmuddel schon klitzekleinmütig zusammen.
Wir brechen wieder auf. Zum ersten Mal steht die Liebste auf dem Vorschiff und gibt Zeichen, die uns helfen, jetzt hier nicht auch noch aufzusetzen.
Der nächste mögliche Hafen liegt weit entfernt hinter der Straße von Messina. Reggio Calabria. Die Liebste und ich haben schon oft davon geträumt hier herzusegeln. Natürlich mit der Vorstellung, das feierlich vorzubereiten und zu begehen. Wie es sich für die Erfüllung eines Traumes gehört. Davon müssen wir uns verabschieden.
Jetzt stolpern wir eher hinein. In aller Eile studieren wir die Gegebenheiten.
Hier herrscht immer Strömung. Zum Teil sehr starke. Hier herrschen fast immer besondere Wind- und Wellenverhältnisse. Nicht umsonst war diese Meerenge schon bei Odysseus und Kollegen so gefürchtet, dass sie die Kulisse für allerlei gruselige Mythen bildet.
Passend zu diesem besonderen Ort braut sich über Sizilien ein Wetter zusammen.
Es herrscht ein Betrieb wie in einem großen Bahnhof.
Ozeandampfer in zwei Fahrwassern von Nord nach Süd und umgekehrt. Kreuzfahrtschiffe. Unmengen Fähren jeder Art und Größe. Ihre Routen manchmal eindeutig quer zu unserer Fahrtrichtung: Messina – Reggio. Manchmal nicht eindeutig. Sie scheinen auf die Küste zuzustreben und drehen dann doch noch mal parallel. Für uns sind diese Schiffe, die von Land aus gesehen doch eher gemächlich irgendwo langbummeln, allesamt zu schnell. Vor allem die Fähren. Wir sind dagegen langsam. Auch mit Motor. Wir können nicht mal eben einfach so schnell ausweichen. Wir müssen uns großflächig von ihnen freihalten. Aber wie, wenn wir z.T. die Routen nicht vorwegnehmen können. Vier Menschen in höchster Konzentration beobachten über 2 Stunden lang alles, was hier schwimmt.
Als wir uns endlich langsam Reggio di Calabria nähern und damit dem Ende dieses Meerengen-Abenteuers, wird wahr, was der Himmel schon länger ankündigt. Es frischt ordentlich auf. Die Anspannung bleibt. Wir werden mit starkem Seitenwind anlegen müssen. Nicht gerade das, was Segler*innen lieben.
Immerhin: Das übliche Hafen-Funken funktioniert. Es gibt Platz. Wir sollen mal kommen. In der Hafeneinfahrt rudern plötzlich zwei Männer mit den Armen. Beide wollen uns für ihren Hafen gewinnen. Es gibt hier offenbar zwei. Wir kriegen nicht raus, mit wem wir gefunkt haben und entscheiden uns für den näheren, der geschützt hinter einer hohen Hafenmauer liegt.
Der Anlegeplan ist gut. Die Ausführung nicht. Der Ormeggiatore steht auf der Pier und hüpft aufgeregt hin und her. Hat mal diese Mooring-Leine in der Hand, mal jene. Gibt Richtungszeichen, die wir nicht verstehen. Wir sind konfus. Und landen in der Mooringleine unseres Nachbarn an Steuerbord. Zum Glück nur langsam. Erst dann beruhigen wir uns wieder. Lassen den Ormeggiatore rudern, winken und rufen und agieren wieder selbst.
Einladend ist auch dieser Hafen nicht. Aber wir sind sicher da. Das zählt jetzt erstmal. Als i-Tüpfelchen müssen wir die Gangway auf einer dicken Kette ablegen, wenn wir sie betreten. Sicheres gleichgewichtiges Trittgefühl fühlt sich definitiv anders an.
Der Schlusspunkt ist dann Aufregung. Sowohl unsere beiden Nachbar-Besatzungen, wie auch der Ormeggiatore überschütten uns mit der aufgeregten Botschaft, dass Sturm im Anlauf sei und wir in den nächsten Tagen auf keinen Fall wieder ablegen können.
Ihre Unruhe infiziert auch uns.
Wir verabschieden uns von der Unbeschwertheit, mit der wir bisher unterwegs waren, selbst dann, wenn es mal etwas schwieriger wurde. Wir verabschieden uns von Hafen-Idylle. Und vom Schönwetter-Segeln.