Die Sylvester-Nacht schleicht heran. Gleich brechen wir auf. Wir wollen dieses Jahr dem neuen Jahr mal wieder zu zweit allein entgegenblicken. Am See. Von einem Steg aus. Schulter an Schulter. Herz an Herz. Schweigend. Oder nur leise sprechend. Als könnten wir hier draußen irgendjemand stören.
Irgendwo von dahinten aus dem Dunkel wird das neue Jahr kommen.
Noch zu Hause schauen wir häufig aus dem Fenster: In alle Richtungen sind die Sichten von dichten Schichten feinstperligem Dunst verhängt.
Während des langen Spaziergangs zum See quillt der Himmel nebelgrau immer zäher herab in die Zwischenräume. Löst die Gegenstände aus dem Da-Sein. Fügt sie wieder ein. Seltsam einsam. Fremd. War das nicht eigentlich größer? Oder kleiner?
Als wollte die Welt ein Statement in Sachen Feuerwerk und Feinstaub abgeben: Lasst es! Ihr könnt heut sowieso nix sehen.
Change is possible. Selbst bei den Gegenständen.
Die letzte Viertelstunde vor der ersten Sekunde des neuen Jahrzehntes ist schon angebrochen, da lösen sich zwei Personen aus dem Dunst und nähern sich. Kurz trauern wir dem Verlust unserer romantischen Zweisamkeit hinterher. Dann teilen wir Sekt und Wunderkerzen.
Der Vorschlag der Welt, das mit dem Feuerwerk zu lassen, ist nicht angekommen. Es knallt mit derselben Intensität wie immer von der Stadt her. Wir hören es. Wenn auch gedämpft. Selbst das schafft der Nebel. Aber wir sehen: Absolut nichts. Tatsächlich.
Wir plaudern noch ein wenig mit unseren Sylvester-Bekanntschaften. Zwei-Glas-Vertraulichkeit. Er erzählt, er wolle sich demnächst ein Elektro-Auto kaufen. Ah! Ein Bruder im Geiste. Erst die Feinstaub-unverdächtigen Wunderkerzen. Jetzt das E-Auto.
Doch er holt mich schnell aus dem Konsenz-Träumchen.
Weißt Du, – er kommt mir verschwörerisch nahe – der ganze CO2 –Kram gehe ihm am … vorbei. Eine angedeutete Geste zeigt woran vorbei. Dann rechnet er mir die Zuschüsse vor, die er kassiert und zählt auf, was er sich in Zukunft sparen kann. Inspektion, Ölwechsel, Zahnriemen etc.
Er habe sich das genau ausgerechnet. Er fahre fast nie mehr als 100 km. Wenn er am Ankunftsort womöglich noch umsonst laden könne, rechne sich das ganz schnell.
Als wir anfangen zu frieren, verabschieden wir uns.
Auf dem Rückweg ist der Nebel so dicht, dass die wenig Taxen, die sich durch die Suppe schieben, um die ersten feiermüden Partygäste einzusammeln, langsamer fahren, als wir laufen. Kurz vor dem Überqueren einer Straße kann man die gegenüberliegende Seite nicht sehen.
Wir wählen den Weg sorgfältig. Ich habe Angst vor von „ausgelassenen“ Jugendlichen vor die Füße geworfenen Böllern. Ist das altersbedingte Unsicherheit? Oder medial gepuschte Hysterie? Oder hat sich wirklich was verändert?
In der Stadt sieht überall der Boden aus, als wären mehrere Kehrmaschinen gleichzeitig unter Druck geborsten.
Selbst diesen Eindruck mildert der Nebel etwas ab.
Am nächsten Morgen aber sehen die Straßen, Wege und Plätze genauso schlimm aus wie jedes Jahr.