Ich sitze in einem Hotel beim Frühstück. Schräg gegenüber von mir sitzt ein Paar orientalischer Herkunft. Sie trägt eine schwarze Burka. Ich kann den Blick nicht von ihr lassen. Als hätte sie eine durchsichtige Bluse an, werden meine Augen immer wieder von voyeuristischem Magnetismus angesaugt. Fasziniert beobachte ich, wie sie regelmäßig das Stück Stoff vor ihrem Mund anhebt, um in ein Brötchen zu beißen. Phantasiere ich oder sehe ich ihr, obwohl ich sie kaum sehe, den Genuss an? Die beiden haben gute Laune. Sie lächeln einander an. Denke ich. Jedenfalls lächelt er sie an. Ich meine verliebten Stolz in seinem Blick zu sehen. Seht, was für eine schöne Frau ich habe!
In derselben Woche habe ich bei meiner morgendlichen Lektüre der Nachrichten auf dem Windows-Portal „Bing“ von der rheinland-pfälzischen CDU-Vorsitzenden Julia Klöckner gelesen, sie habe öffentlich angeregt die Burka in Deutschland zu verbieten. Die Burka sei „Ausdruck eines frauenfeindlichen Menschenbildes, das nicht zu unserer Werteordnung passt“. Man möge doch „aufgeklärten Frauen“ nicht „aus falsch verstandener Toleranz“… „in den Rücken“ fallen. Kombiniert ist der Artikel mit 5 Bildern. Zwei Bilder von Frau Klöckner. Drei Bilder von verschleierten Frauen.
Das ist ja mal ein interessanter Ansatz: Schauen, ob eine Art sich zu kleiden zu „unserer“ (brrrr) „Werteordnung“ (brrrr) passt! Und verbieten, wenn nicht. Nun könnte man trefflich darüber räsonieren, welche Werteordnung eigentlich die Uniform der Laptop-Luden montags morgens am Flughafen zum Ausdruck bringt. Oder der Dresscode im Dschungelcamp. Was ist mit der Werteordnung, die die Hungerhaken auf Titelblättern von Frauenzeitschriften repräsentieren oder die jungen hübschen Dinger in modischen Kultsendungen, deren Stimmen so klingen, als würden sie nicht mit Stimmbändern und Zwerchfell Töne machen, sondern mit einem implantierten Headset. Man könnte auch sich fragen, ob die Geschäftsführer von Edel-Boutiquen in den einschlägigen Einkaufsmeilen nicht eigentlich eine Bürgerinitiative gegen das Burka-Verbot starten müssten. Schließlich machen reiche Burka-Trägerinnen einen nicht unerheblichen Teil ihrer Stammkundschaft aus.
Und das Styling von Frau Klöckner? Der Lippenstift. Das Make-up. Das Haarspray. Der Eyeliner. Die Wimpertusche. Der Lidstrich. Das Sakko. Welche Werteordnung? Welches Frauenbild? Aufgeklärt? Frei? Selbstbestimmt? Aber das ist müßig. Es ist gilt ja die alte Weisheit. „So dumm kann keiner sein, ohne gute Gründe so dumm sein zu wollen“. Den Menschen, die solche Forderungen stellen, kann es nicht darum gehen, irgendwelche Werte zu verteidigen. Sie müssen wissen, dass seriös vertretbare Grenzziehungen in Sachen erlaubte/unerlaubte Kleidung in einer demokratischen Gesellschaft nicht möglich sind, wenn man von eindeutig gewaltverherrlichenden Emblemen und Zeichen mal absieht.
Darüber nachdenken aber, warum diese Menschen trotzdem öffentlich solche Forderungen stellen, möchte ich gar nicht. Viel lieber möchte ich träumen.
Die beiden, die ich im Hotel getroffen habe, übrigens in Aachen … ob das wohl Belgierin und Belgier waren? Ob sie vielleicht für ein Wochenende in das Hotel in Aachen gefahren sind, um sich einfach mal wieder ganz in Ruhe so zu bewegen, wie es ihnen gefällt? Ob sie wohl zu ihm gesagt hat: „Schatz, lass uns mal wieder ein Wochenende in Deutschland verbringen. Da ist es so schön frei. Da kann ich endlich mal wieder meine Ausgeh-Burka anziehen.“
Was für ein schöner Traum. „Da ist es so schön frei.“
Irgendwann besiege ich den „Durchsichtige-Bluse-Magnetismus“ und wende mich anderen Dingen zu. Als ich dann doch noch einmal wieder vorbeistreife, sehe ich plötzlich, dass sie den Stofflappen vor dem Mund abgenommen hat. Für den Bruchteil eines Augenblicks begegnen sich unsere Blicke. Kann es sein, dass da der Hauch eines Lächelns durch unser beider Augenwinkel gehuscht ist?