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Kanzler-Schimäre

Jetzt also Armin Laschet, der da im Häme-Schauer steht. Ohne Schirm.
Ein mächtiges Bild: Der Kanzlerkandidat, der im eigens beschafften schicken Regelmantel inmitten der Reste einer zutiefst bedrückenden Katastrophe zwei, drei um ihn herumstehenden Männern beim rotwangigen Kichern die Zungenspitze keck aus dem Lachgesicht entgegenstreckt, während vor ihm der Bundespräsident mit ernster Miene sein tiefes Mitgefühl ausspricht.
In meiner Geschichte gibt es auch solche Momente, die sich als fauliger Erinnerungssud ins Gemüt senken und ein Leben lang, wenn die Verdrängungsdecke wieder mal durch irgendeinen Anlass aufgebrochen wird und ihren ekeligen Dunst ins Bewusstsein aufsteigen lässt, kaum erträglich wundes Schämen aufquellen lassen.
Ich fühle Scham. Weil ich es kenne. Solche Momente. Sogar das hilflose Entschuldigen, das keines ist, sondern nur die Qual des Erinnerns kleiner machen soll, kenne ich.
Wie so vieles andere, das ich bei Armin Laschet beobachte. Den merkwürdigen Gegensatz zwischen Handeln und öffentlichem Reden zum Beispiel. Hier die zölibatäre Zögerlichkeit, die sich nicht in die Wildnis des Entscheidens stürzen möchte. Dort der verbal versuchte und dann doch irgendwie nicht gelingen wollende, gerne mit geballten Fäusten unterstützte, Eindruck der Tatkraft. Er sagt „Ich werde entschlossen kämpfen“. Und im selben Moment sehe ich den etwas zu klein geratenen, fleißigen und braven Schüler, der ganz überrascht ist, dass er zum Klassensprecher gewählt wurde und sich fortan immer freut, wenn er bei den Großen mitspielen darf.
All das kenne ich. Er könnte mir nah sein.

Vor ihm war es Anna Lena Baerbock, die ‚gejagt‘ wurde. Auch ihre ‚Vergehen‘ kenne ich. Auch sie könnte mir nah sein. Auch ich habe hier und da mal meinen Lebenslauf geschönt. Unfeine Details weggelassen. Punkte ein klein wenig größer gemacht, auf dass sie Pluspunkte würden. Einnahmen verschwiegen, wo ich sie hätte aufdecken sollen. Anleihen bei den Gedanken anderer als eigene leben lassen. Selbst das kenne ich: Eine Spur zu schnell reden, eilig Kerngedanken hintereinander reihend, wenn ich das Gefühl habe, nicht die Zeit zu haben, in Ruhe Dinge zu erklären. Inklusive der Details, die ich noch nicht so ganz verstehe. Aus dem selbst auferlegten Druck, wissend erscheinen zu müssen. Und auch aus Sorge, ich könnte mir selber Stolpersteine des Denkens vor die Füße legen, auf die mich meine Gesprächspartner dann aufmerksam machen, damit genau das passiert: Stolpern. Das Ganze mit einem ganz leicht nach hinten oben verrutschten Stimmsitz, der verrät: Hier spricht eine, die sich nicht die Zeit nehmen kann, ihre Gedanken in ein stimmiges Verhältnis zu ihren Worten zu bringen.
‚Die Kleine kann es nicht‘ versuchen die Platzhirsche – alles Männer – hinauszuposaunen, ohne dass man die Posaune sieht. Die Lindners, die Klebers. Ihnen folgend die Platzhirsche des Alltags an Stehtischen, in Grillrunden, beim Bier nach dem Sport, – manchmal gar ein kleiner grüner Platzhirsch.

„Die  Kleine kann es nicht“ vermittelt auch der dritte Kandidat: Herr Scholz. Ihn aber kenne ich nicht. Beim Versuch ihn wahrzunehmen, entgleitet er. Verschwindet und steht gleichzeitig doch da. Unumstößlich. Fest. Autoritär mit lässiger Geste. Das kenne ich nicht. Höchstens den leidenden, weil unerfüllbaren, Wunsch, auch so zu sein. Wenn ich wieder mal nicht einfach ich sein kann. Dabei hat er auch einiges zu bieten, was dazu taugen würde, ihn – im Regen stehend – medial zu Schau zu stellen. Immerhin gibt es weiterhin gute Gründe zumindest einmal anzunehmen, dass er als Hamburger Bürgermeister eine Rolle spielte dabei, dass das Finanzamt Hamburg der „Warburg Bank“ 47 Millionen Euro Steuerschuld erließ. Und weitere 43 Millionen Euro verjähren lassen wollte. Steuerschuld aus Cum-Ex-Geschäften. Zudem ist er als Bundesfinanzminister zumindest systemisch mitverantwortlich für das, was sich im Stichwort „Wirecard“ an inzwischen bewiesenem milliardenschwerem Betrug verbirgt. Ich finde nur eine Erklärung. Seinem Image schadet es nicht, eben weil er als Mensch nicht erkennbar ist. Und dadurch möglich macht, dass Wähler:innen in ihn hineinprojizieren können, wonach sie sich sehnen: Lösung von Problemen, ohne dass sie selbst mit Veränderung belästigt werden.
Wenn er im Interview auf die Cum-Ex-Geschäfte der Hamburger „Warburg-Bank“, angesprochen wird, sagt er nicht einmal nichts. Und das mit nonchalanter Ironie. Selbst bei hartnäckigen Nachfragen.
Er offenbart sich. Als Kanzler-Schimäre.

Scholz Gesichtsausdruck Ironie

 

Für mich ist das zum Glück unerheblich. Meine Wahl ist einfach. Ich wähle die Kandidatin der Grünen. Ich habe einfach keine Lust mehr auf die alten Säcke.
Ich weiß nicht, ob weil, oder obwohl ich selber einer bin.

P.S.: Kanzler:in kann man nicht können. Auch Herr Scholz nicht. Man kann es nur lernen. Wie, das konnten wir 16 Jahre lang an einer Frau studieren, die zu Anfang „ihrer Ära“ vom damaligen Kanzler mit scheinbar wohlwollender großväterlicher Herrschaftsattitüde noch „mein Mädchen“ genannt wurde.

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