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PKW-Maut

In diesen Tagen werde ich wieder daran erinnert, dass ich beinahe nicht gewählt hätte. Ein Politiker namens H. Seehofer brennt mir tiefe Abneigung gegen diese Art von Demokratie ins Gemüt. Welche Art? Rückblende:
Nach drei Wochen Italien nähern wir uns auf der Rückfahrt der deutschösterreichischen Grenze. Wir freuen uns, wieder mal deutschsprachiges Radio hören zu können. Kurz bleiben wir hängen bei einer gut gelaunten österreichischen Moderatorin, die „totaal begäästert“ von irgendeiner Musiktitel-Beliebtheits-Umfrage erzählt. Und – Mensch! – eine österreichische Schlagersängerin hat da den 6. Platz erreicht. Wow!. Und damit wir das richtig verstehen, wie toll das ist, gibt es noch O-Ton der österreichischen Schlagersängerin. Und die findet das „uunfossbo gääl“. Sie sagt wirklich die Worte „unfassbar“ und „geil“.
Wir lachen und betätigen die Sendersuche, währenddessen wir alles, was wir sehen „uunfossbo gääl“ finden. Den schwarzen Oldtimer, den wir gerade überholt haben, das Grün des Notausgangsschildes im Tunnel, unser Radio …
hey, sag mal wie findest Du eigentlich den Knauf am Schaltknüppel? …
kichern … uunfossbo gääl.
Ein bayrischer Radiosender. Immerhin gerade kein Gedudel, sondern ein Wortbeitrag. Es ist Wahlkampf. Bayern wählt und dann die Bundesrepublik. Und es geht um den Vorstoß des Politikers H. Seehofer. Er möchte die (Bundestags-) Wahl gewinnen und dann eine Maut für Ausländer einführen. OTon. „Dess koan jo nned oangehe, doaß mia rund um uns härrrum in oandere Länder zoaln miasse, un die zoaln koan Cent, wann die unsere Autoboan benutzn, un des wo mir a ßo a wichtiges Trrranßit-Land san.“ Etwa so. Was wirklich fällt, sind die Worte „wir“ und „uns“ und „die„.
Ich überlege kurz. In meiner inneren Europakarte steht es unentschieden. Ich habe in Holland, Belgien und Luxemburg nicht bezahlt, in Italien, Frankreich, Österreich, Schweiz schon. Ich weiß nicht, wie es in Polen und Tschechien ist. Weiter weg – auch wenn es nicht „um uns herum ist“, – aber Europa: In Spanien schon.
Wie war das damals in Dänemark? In Schweden? In Norwegen? Weiß nicht mehr. Ich glaube, keine Maut. Meine kleine unsaubere Statistik kommt zu dem Ergebnis: Auf jeden Fall ist „überall“ nicht richtig. Also ist das Wort falsch. Es ist vielleicht sogar besonders falsch, weil es vielleicht „um uns herum“ mehr Länder gibt, in denen wir nicht zahlen.
Ich frage mich, warum mich dieser Beitrag so überaus, – ja, – abfuckt.
Vielleicht deshalb: Wo um uns herum kassiert wird und wo nicht, weiß der Politiker H. Seehofer wahrscheinlich besser als ich. Er wird auch wissen, dass das europäische Parlament einer „Maut für Ausländer“, die wir nur von denen kassieren, niemals zustimmen würde. Trotzdem macht er diesen Vorstoß und „argumentiert“ so, wie ich es gehört habe. Warum? Willkommen in der Wirklichkeit, trotzkopfdumm, denke ich! Das mit den zwei Fliegen …:
Der Politiker H. Seehofer ahnt, dass es eine nennenswerte Zahl von
Wählerinnen und Wählern gibt, die genau das auch total ungerecht finden, dass wir überall zahlen müssen und die bei uns nicht. Schmarotzer!
Und er ahnt, dass viele ihm das hoch anrechnen, dass er sich gegen den Rest Europas für uns einsetzt. Dass er etwas fordert, was total gerecht ist, auch wenn die anderen das nicht wollen, weil sie eben weiter schmarotzen wollen, … gar nicht so einfach, solche vermuteten dumpfen Gedankengänge zu zitieren.
Landesvater Seehofer.
Es geht um das Aufgreifen und Nutzen von Stimmungen. Es geht nicht um ein Problem oder ein Projekt oder eine Vision. Es geht nicht um eine Maut.
Ich habe dann doch gewählt.
Und darf nun seit siebzehn Tagen – so lange dauern jetzt die
Koalitionsverhandlungen – erleben, dass das Thema „Maut“ einer der zentralen Punkte dieser Verhandlungen ist.
Vielleicht war es damals, als ich so abgefuckt war, doch noch komplizierter.
Vielleicht war von Anfang an klar, dass es um die Frage geht, wie man zur
Sanierung der maroden Infrastruktur in Deutschland mehr Geld in die Staatskasse bekommt, ohne die Bürger zu belasten. Vielleicht war von Anfang an klar, dass man die Maut nur von allen verlangen kann. Vielleicht war von Anfang an klar, dass eine Lösung sein könnte, zum Ausgleich dann die KFZSteuer zu senken. Vielleicht war von Anfang an klar, dass andere „Geldbeschaffungs“-Aktivitäten kaum möglich sind, weil von Anfang an klar war, dass das Polit-Spiel auf eine große Koalition hinausläuft. Und vielleicht war von Anfang an eben nicht klar, wie man es hinkriegt, einerseits zusammen zu regieren, andererseits aber den anderen für die unangenehmen Sachen den
Schwarzen Peter … Dann doch lieber gleich nur bei den Ausländern kassieren …
Ich bin sicherer denn je, dass ich eine solche Art von Demokratie eigentlich nicht unterstützen möchte mit meiner Teilhabe.
Heute ist der 9. November. Ein wichtiger Tag in der Geschichte des dritten Reichs. Ein wichtiger Tag auch in der Geschichte der DDR.
Da wird der eine oder andere Wortbeitrag heute im Radio zu hören sein. Und er wird sicher auch des Öfteren das Wort „Demokratie“ enthalten.

 

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