Tag 71
Traum
Heute Nacht ein Traum.
Ich biege auf den Flur. Vor der Tür zum Klassenraum wartet er schon. Ich freue mich. Er sieht wunderbar aus. Ein extrem kleinwüchsiger Mann. Er hat sich verkleidet. Grau in Grau. Der Anzug, die Schuhe, das Hemd, der Trenchcoat. Auch der Hut und das eng um den Kopf geschlungene Tuch darunter. Wie in den Stoff hineingefärbter Staub.
Tiefdunkle Ränder unter den Augen.
Nur die Lippen sind knallrot geschminkt.
Er wird einen der grauen Männer aus „Momo“ spielen.
Wir öffnen die Klassentür. Gehen nochmal durch einen schmalen Gang. Dann betreten wir die Klasse selbst.
Er spielt seine Rolle großartig. Er ist spröde, streng, unnahbar. Trotz seiner Kleinheit füllt er den Raum mit unnachgiebiger Kälte. In der Klasse keimt Unruhe auf. Widerstand. Mir ist unwohl. Ich freue mich über die Wirkung dieser Szene. Und ich schäme mich. Sie spielen nicht mit. So wenig habe ich die Klasse „im Griff“. Ich bekomme meine Gedanken nicht in den Griff. Ich habe diesen Mann doch eingeladen für genau das, was er jetzt tut. Und jetzt ist es mir unangenehm und auch wieder nicht.
Mitten im leblosen inneren Tosen wache ich auf.