Vergiftetes Denken

Es ist bemerkenswert, wie schnell ein Krieg das Denken vergiftet. Oder schon vergiftetes Denken an die Oberfläche spült. Roderich Kiesewetter ist CDU-Bundestagsabgeordneter und Wehrexperte. Er „regt an“, die Ukraine bei ihrem Bemühen zu unterstützen, dass die etwa 200 000 „wehrfähigen“ ukrainischen Männer, die in Deutschland Zuflucht gesucht haben, in die Ukraine zurückkehren und der ukrainischen Armee im Kriegsgeschehen helfen. Er sagt auch, wie Deutschland der Ukraine dabei helfen könnte. Vorschlag 1: Das Bürgergeld für diese 200 000 Männer zu streichen. Vorschlag 2: Deutschland „unterstützt“ die Ukraine bei der „Erfassung und Zustellung von Bescheiden“. Offenbar ahnt er, wie brisant diese Vorschläge sind. Er versucht die Brisanz zu mildern, indem er seine Vorschläge „faire Angebote“ und „Anreize“ nennt. Zusätzlich spielt er die Mitgefühlskarte: Die ukrainischen Soldaten seien seit 2 Jahren ununterbrochen im Einsatz und bräuchten „dringend Entlastung“. Und schließlich sei es ja auch eine Frage des „Patriotismus“ und des – soll man ergänzen: völkischen? – „Zusammenhalts“, dass die in Deutschland lebenden ukrainischen Männer zurückkehren und ihre Landsleute unterstützen. Übersetzt man diese scheinmilde Sprache, wird ein Gift mit mehreren gleichzeitig wirksamen Wirkstoffen sichtbar:

  1. „Natürlich!“, denkt man, „was auch sonst?!“ Das Bürgergeld streichen. Dieses Gift wirkt bei den aktuellen Debatten besonders gut. Jedenfalls bei der CDU und in großen Teilen der Bevölkerung. Der Wirkstoff ist die mit dem Bürgergeld verbundene Erzählung, besser gesagt: die Unterstellung, die, die es erhalten, seien Drückeberger. In diesem Fall drücken sie sich nicht – wie sonst unterstellt – vor der Arbeit, sondern vor der Verantwortung, die ihnen bezogen auf die Verteidigung ihres Landes angeheftet wird.
  2. Man kann über Patriotismus und Zusammenhalt einer Gesellschaft diskutieren. Beides aber nicht zu wünschen, sondern einzuklagen und die Nicht-Erfüllung zu sanktionieren, ätzt schmerzhaft ein Loch in die Brandmauer nach rechts, die im Moment so gerne beschworen wird.
  3. Dieser giftige Wirkstoff wird noch verstärkt, wenn man Patriotismus um den Preis von Sanktionierung auch noch einklagt von Menschen, die gar nicht Staatsbürger unseres Landes sind. Es wäre interessant, das einmal völkerrechtlich und menschenrechtlich zu diskutieren.
  4. Und schließlich: Was heißt eigentlich „Demokratie“, deren Schutz in diesen Zeiten so gerne beschworen wird, wenn sie die kämpfende Teilnahme an einem Krieg nahezu erzwingt?
  5. Der letzte Wirkstoff: Die verharmlosende Sprache. Herr Kiesewetter bezeichnet sein Konzept als „faires Angebot“ und als „Anreize“, wo es doch nichts anderes bedeutet, als Männer in einen Krieg zu hetzen. Dasselbe gilt für den   verharmlosenden Vorschlag, der Ukraine bei der „Erfassung und Zustellung von Bescheiden“ zu helfen. Man bedenke: Es geht um die Zustellung von zum Beispiel Einberufungs-Bescheiden, die vielleicht einem Todesurteil gleichkommen. Auch das ahnt Herr Kiesewetter und fügt beschwichtigend an, die Männer müssten ja nicht unbedingt an der Front eingesetzt werden. Sie könnten auch anders helfen. Ob er ernsthaft glaubt, die Entscheider in der Ukraine würden das beherzigen?

Für einen Ex-Bundeswehroberst mögen die „Vorschläge“ logisch sein, – obwohl, – selbst das müsste jede/n Demokraten:in entsetzen.